Fortsetzungsroman ohne Ende

Geschrieben von: am 30. Aug 2022 um 16:30

Das Land Niedersachsen schreibt die Coronaverordnung, die seit dem 22. Juni gilt und morgen ausläuft, einfach bis zum 30. September fort. Begründung keine. Einfach so, weil man es kann, aber eigentlich nur, weil man einen Zeitraum überbrücken muss, bis zur angekündigten Winterreifen- und Schneekettenregelung des Bundes, die in das Infektionsschutzgesetz geschrieben werden soll. Eine Normalität ohne Maßnahmen ist für den Verordnungsgeber offenbar überhaupt nicht mehr vorstellbar.

In der Pressemitteilung der Staatskanzlei heißt es:

„Die Sommerwelle ist glücklicherweise abgeflacht, die Zahl der mit Corona im Krankenhaus oder gar auf der Intensivstation zu behandelnden Fälle ist aktuell vergleichsweise niedrig, viele Krankheitsverläufe sind moderat. Aber es bleibt dabei: Corona ist keine Grippe, tagtäglich sterben Menschen an einer COVID-19-Infektion, viele haben lange unter Nachwirkungen zu leiden. Aus diesen Gründen hält die Niedersächsische Landesregierung die bisherigen Basis-Schutzmaßnahmen nach wie vor für geboten.“

Das beschriebene Szenario gilt im Prinzip immer. Denn auch wenn die Pandemie einmal offiziell für beendet erklärt werden sollte, wird Corona keine Grippe sein, tagtäglich Menschen daran sterben und auch Nachwirkungen auftreten. Folglich muss es in der Logik der Landesregierung auch immer diesen auf mehreren Seiten in kleiner Schrift formulierten Basisschutz geben, darunter Regelungen zur partiellen Maskenpflicht und zu Testungen.

Die Basisschutzmaßnahmen hatten aber augenscheinlich keinerlei Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen, sonst wäre die Sommerwelle nach Darstellung der Staatskanzlei erstens gar nicht entstanden und zweitens nicht „glücklicherweise“ abgeflacht, sondern wie erwartet verlaufen. Warum diese vollkommen wirkungslosen Maßnahmen dennoch fortgeführt werden müssen, ist ein Rätsel. Die Landesregierung sieht in ihnen offenbar gar kein wirksames Mittel, sondern ein Mittel zum Zweck. Weil Corona noch da ist, braucht es Maßnahmen, und zwar so lange, bis neue Maßnahmen zur Verfügung stehen.

Auf der anderen Seite gibt es keine Idee von einer Rückkehr zur Normalität. Ziele wurden immer wieder verschoben. Über das Abflachen von Kurven unter einen bestimmten Wert über Impfangebot und Impfquoten bis hin zur völligen Aufgabe von konkreten Vorgaben. Inzwischen plant die Bundesregierung ein Infektionsschutzgesetz nach dem Kalender, einfach so, weil sie es kann. Staats- und Verwaltungsrechtler Thorsten Kingreen von der Uni Regensburg sprach kürzlich von einer Gesetzgebung wie ein Fortsetzungsroman. Er beklagt, dass der Gesetzgeber eine lageangepasste Prüfung der Verhältnismäßigkeit gar nicht mehr vorsehe.

Diese fragwürdige Haltung findet sich nun auch in der unscheinbaren Fortsetzung der niedersächsischen Coronaverordnung wieder. Die Landesregierung hätte genauso gut darauf verzichten können, an der völlig undramatischen Lage hätte sich nichts geändert. Die Zahl der mit Corona zu behandelnden Fälle bliebe niedrig und die Krankheitsverläufe in der Regel moderat. Wie die Landesregierung zwischen den Zeilen selbst einräumt, ist durch die Basisschutzmaßnahmen kein messbarer Effekt feststellbar und klinisch spielt die Tatsache einer hohen Infektionszahl kaum eine Rolle. Es bleibt daher im Grunde nur der symbolische Charakter oder der Weg des geringsten Widerstands. Schließlich müsste die Regierung, deren Mitglieder am 9. Oktober zur Wahl stehen, eine Menge Fragen beantworten, wenn sie die Maßnahmen einfach auslaufen ließe, bevor der Bund das neue Infektionsschutzgesetz verabschiedet.


Bildnachweis: Gerd Altmann auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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