Tichy meint, es gibt keine Armut

Geschrieben von: am 01. Dez 2012 um 17:35

Warum reden, rechnen und politisieren wir uns so zwanghaft arm, fragt WiWo Chefredakteur Roland Tichy.

„Denn nur Arbeit schafft neben Lohn auch jene Wertschätzung, die die Menschen so dringend brauchen.“

Quelle: WiWo Blog

Genau, der Lohn ist gar nicht so wichtig. Wer glaubt, dass eine Wirtschaft dauerhaft von Exportüberschüssen leben kann, der glaubt auch, dass man sich von der Wertschätzung, deren Existenz man erst noch beweisen müsste, etwas zu essen kaufen kann.

Angesichts dieser geistigen Armut fällt es leicht, Deutschland als sozialpolitisches Musterland zu erkennen, in dem sogar die Jugendarbeitslosigkeit „trotz des Versagens der Bildungspolitik“ im Vergleich zu anderen Ländern geringer sei. In Frankreich, Italien und Spanien gelten Mindestlöhne und starre Arbeitsmärkte, die jeden zweiten Jugendlichen aussperren, so Tichy.

Es kommt halt immer darauf an, wie genau man hinschauen will. Die internationalen Statistiken zur Jugendarbeitslosigkeit sind seltsamerweise immer höher als die Datenerhebungen hierzulande. Das interessiert Tichy freilich nicht. Bei der Bundesagentur werden Jugendliche, die nur eine Ausbildungsstelle suchen nicht als arbeitslos gezählt. Das ist jetzt noch nichts Besonderes und wird auch in anderen Ländern so gehandhabt, allerdings hätte der Chefredakteur der Wirtschafts Woche schon darauf kommen können, dass Jugendliche einem hohen Risiko ausgesetzt sind. Sie werden schneller arbeitslos, kommen aber auch relativ zügig wieder in Beschäftigung, wenn die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen stabil bleiben.

Ein gebildeter Mensch würde jetzt diese leicht festzustellenden Fakten nehmen, anschließend auf die Realität übertragen und sich die Frage stellen. Was passiert, wenn die Wirtschaft stagniert oder schrumpft? Obwohl die deutsche Jugendarbeitslosigkeit vergleichsweise niedrig ist, würde auch sie beim Einbrechen der Wirtschaft als erste rasant zunehmen. Gerade das lehrt uns die Entwicklung in den europäischen Südländern. Tichy müsste eigentlich alarmiert sein, da die Exportfixiertheit Deutschlands direkt von der Performance der Südeuropäer abhängig ist.

Die detaillierten Daten zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im 3. Quartal müssten Herrn Tichy ebenfalls erschrecken, da sie seine Theorie, die Statistik weise kein Elend aus, Lügen straft. Die Zunahme des BIP ist nur noch gering. Die Ausrüstungsinvestitionen der Industrie gehen bereits zurück und nehmen damit auch den Einbruch der Wirtschaft insgesamt vorweg. Die realen Arbeitnehmereinkommen stagnieren seit Jahren und damit auch die Konsumausgaben, wohingegen die Exportüberschüsse neue Rekordstände erreichen. An diesen werden die Arbeitnehmer aber nicht beteiligt.

Folglich nehmen die Ungleichgewichte, die als Ursache der massiven Verschuldung in Südeuropa gelten müssen, innerhalb der Eurozone immer noch zu statt ab. Das wiederum hat aber überhaupt nichts mit Mindestlöhnen in den jeweiligen Ländern zu tun, wie Tichy insinuiert. Er bedient sich eines Tricks und verdreht Ursache und Wirkung. Gerade die Lohndrückerei Deutschlands hat zu ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteilen geführt. Auf dieser Grundlage war es möglich die Beschäftigungssituation insgesamt zu beschönigen, obwohl weitestgehend Unterbeschäftigung und Einkommensarmut herrscht.

Das geistige Elend führender Wirtschaftsjournalisten ist erschreckend. Das kann aber auch Absicht sein.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. xyz  Dezember 2, 2012

    die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Wirklichkeit bei ca. 15-17%, wenn man das Übergangssystem und andere Faktoren einbezieht. Das sie so hoch ist, sieht man bei der Bevölkerungsgruppe der jungen Erwachsenen ab ca. 29 bis Mitte 30, wo auf einmal diese hohe Anzahl Ungelernter herauskommt.

    Außerdem hat es statistische Gründe, siehe hier ab Seite 156:

    http://www.blbs.de/presse/zeitung/archiv_2011/blbs_0511.pdf

    außerdem erfüllt die Ausbildung bestimmte Normen nicht:

    http://forum-kritische-paedagogik.de/start/?p=130

    und Frankreich z.B. hat seit 40 Jahren einen höherer Fertilität, folglich dürfte DE auch besonders wenig Jugendliche haben. Abgesehen davon, dass die Jugendarbeitslosigkeit europaweit nur bekämpft werden kann, wenn die Arbeitszeit aller gesenkt wird. Immerhin haben wir seit den 1970ern Massenarbeitslosigkeit.

    mich ärgert es auch, dass DE sein Ausbildungssystem jetzt überall hinexportiert, obwohl dieses große Mängel hat. Aber die Propaganda verkauft es immer besonders gut.

  2. der-olli  Dezember 8, 2012

    Der hat doch auch die Halluzinelle erfunden?! http://de.wikipedia.org/wiki/Ijon_Tichy:_Raumpilot#Analoge_Halluzinelle
    Der Tichy….

    Der ist COOL! http://www.youtube.com/results?search_query=Ijon+Tichy&oq=Ijon+Tichy&gs_l=youtube.12..0l10.67924.67924.0.71618.1.1.0.0.0.0.490.490.4-1.1.0…0.0…1ac.2.xG5xdXj-yiM

    Also DER Tichy macht alles einfach so easy, der andere….