Interessanter Beschluss

Geschrieben von: am 16. Feb 2021 um 11:57

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat mit Blick auf die Corona-Politik erneut einen interessanten Beschluss gefasst. Zwar wird der Eilantrag eines Friseurbetriebes, der sich gegen die erzwungene Schließung wandte, abgewiesen, in der Begründung finden sich aber Hinweise an den Verordnungsgeber, zum Beispiel zur neuen maßgeblichen Inzidenz von 35 sowie eine nüchterne Feststellung, dass es ja gar nicht verboten sei, Kunden in deren Wohnungen aufzusuchen, um dort die Frisiertätigkeit vorzunehmen.

Zunächst einmal bleibt der 13. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts bei seiner Folgenabwägung. Demnach überwiege derzeit noch das Interesse an der Vermeidung von Infektions-, Erkrankungs- und Todesfällen. Außerdem würden den betroffenen Betrieben finanzielle Ausgleichsleistungen in Aussicht gestellt. Es sei außerdem, wie oben bereits erwähnt, den Antragstellern überhaupt nicht verboten, ihre Tätigkeit durch Aufsuchen der Kunden fortzusetzen. Dass nun mit dem 1. März sogar ein fester Öffnungstermin für Salons benannt worden ist, spiele bei der Eilentscheidung ebenfalls eine Rolle. Ein Ende der angeordneten Schließung ist also absehbar. Die Politik habe mit der vorgezogenen Öffnung zudem der besonderen Bedeutung der Friseurbetriebe für die Bevölkerung Rechnung getragen.

Dennoch hat das Gericht Zweifel an der Effektivität und damit an der Erforderlichkeit der Betriebsschließungen, da eben die deutlich gefährlichere Frisiertätigkeit in den Wohnungen der Kunden durch die Niedersächsische Corona-Verordnung nicht untersagt worden sei. Wenn nun also Politiker, wie zuletzt Bundesinnenminister Horst Seehofer beklagen, vielerorts werde heimlich geschnippelt und geföhnt, also regelrecht ein Schwarzmarkt betrieben, so ist das zumindest mit Blick auf die Corona-Verordnung in Niedersachsen eine infame Verdrehung der Tatsachen. Die Landesregierung hätte die Hausbesuche explizit untersagen müssen, tat das aber nicht. Das ist eben das Problem mit sinnloser Symbolpolitik, bei der es nur auf den plakativen Effekt ankommt. Denn selbstverständlich ist es gefährlicher, wenn die Salons mit sicheren Hygienekonzepten geschlossen werden, das Frisieren zu Hause aber formaljuristisch legal bleibt. Möglicherweise wäre dieser Lapsus nicht passiert, wenn das Parlament angemessen darüber diskutiert und entschieden hätte.

Aber das Gericht hat noch etwas anderes mit Blick auf die künftigen Öffnungsschritte gesagt, die neuerdings nicht mehr an eine Inzidenz von 50, sondern von stabilen 35 – inzwischen über 14 Tage – geknüpft werden. So sieht der Senat den rechtlich unverbindlichen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 10. Februar 2021 zur 7-Tage-Inzidenz kritisch. Dieser stimme weder mit der Regelung des § 28a Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes überein, noch entspreche er der tatsächlichen Fähigkeit der Gesundheitsämter zur Kontaktverfolgung. Legitim sei dagegen das Ziel 50 unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Infektionsgeschehens. Mit anderen Worten: Die Politik kann die Dauer der Einschränkungen nicht einfach durch ein beliebiges Festlegen des Inzidenzwertes verlängern. Es gibt aber dennoch einen Raum für die Besorgnis, die mit dem Auftreten der Mutationen entstanden ist.

Wissen kann man schaffen

Für den Senat des Oberverwaltungsgerichts bleibt offen, ob die beanstandete Regelung in der Niedersächsischen Corona-Verordnung rechtmäßig oder unwirksam ist. Das könne nur in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden. Unterm Strich bleiben aber die Hinweise an den Verordnungsgeber, mehr Sorgfalt bei der Ausgestaltung von Vorschriften walten zu lassen. Der Hinweis auf das Inzidenz-Wirrwarr ist wichtig, zumal diese Größe ohnehin äußerst problematisch ist. Der Infektiologe Matthias Schrappe sagt, dass der Begriff Inzidenz schon falsch sei, da die Melderaten sehr unzuverlässig sind und einfach nur hochgerechnet würden. Das wurde übrigens sehr schön nach dem Jahreswechsel deutlich, als die amtlichen Daten zum Infektionsgeschehen den Zusatz „eigentlich nicht zu gebrauchen“ erhielten. Die niedersächsische Landesregierung verzichtete sogar darauf, die üblichen Inzidenzkarten mit den Farben zu zeigen, da diese die Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt nur verwirrt und verunsichert hätten.

Dabei ist es ein Skandal, was da im Namen der Statistik betrieben wird. Inzidenzwerte ohne repräsentative Grundlage, unsichtbare Wellen usw. Das erinnert mehr an Wahrsagerei auf dem Jahrmarkt als an seriöse Wissenschaft. Es wird Zeit, dass die durchaus sinnvollen Modelle um ein Stück Wirklichkeit und Erfahrung ergänzt werden. Wissen kann man schaffen, in dem man Zahlen vernünftig erhebt und einsammelt. Das schließt dann allerdings eine völlig irre NoCovid-Strategie mit grünen und roten Zonen aus. Experimente müssen praxistauglich sein. So wird ständig um Öffnungen gestritten. Die einen sagen, es gibt keine Infektionen, das Risiko sei also überschaubar und die anderen sagen, das könne gar nicht ausgeschlossen werden, die Gefahr sei viel zu hoch. Man muss das eben herausfinden, um nach rund einem Jahr endlich einmal verlässliche Daten zu erhalten, auf deren Grundlage politische Entscheidungen gut begründet getroffen und damit auch nachvollziehbar vermittelt werden können.

Da ist im Frühjahr nach der ersten Welle bereits viel verschlafen worden. Durch den vergleichsweise glimpflichen Verlauf der Pandemie in Deutschland, gefiel man sich in der Rolle des Musterknaben, der alles richtig gemacht hat. Diese pauschale These ist aber nie eingehender untersucht worden. Nun steht man sehr viel schlechter da und weiß nicht so recht warum. Man macht sich lieber lächerlich bei der Jagd auf Maskenmuffel beim Rodeln. Der Lockdown, der seit November gilt, hat außer großen wirtschaftlichen und sozialen Schäden nichts gebracht, auch wenn das Sinken der Fallzahlen schon wieder als Erfolg der Maßnahmenpolitik gefeiert wird. Es finden ja bald die ersten Landtagswahlen am 14. März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pflalz statt, dazu kommen die Kommunalwahlen in Hessen. Das Eingeständnis von Versagen ist da eher nicht zu erwarten. Trotzdem: Viele Menschen, die man eigentlich schützen wollte, sind an Covid-19 gestorben. Die Lockdown-Logik mit Maßnahmen, von denen man nicht weiß und auch gar nicht wissen will, wie sie eigentlich konkret wirken, hat gerade bei den Risikogruppen die Inzidenzen nicht gedrückt. Wer jetzt als Konsequenz daraus NoCovid fordert, will auch weiterhin nichts wissen oder so tun, als hätte der Holzhammer nur viel früher eingesetzt werden müssen. Das ist Blödsinn und taugt, wie man sieht, bloß als Vorlage für eine planlos agierende Politik, die nun statt Inzidenzziel 50, einfach mal 35 sagt.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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