Stammtisch in Karlsruhe angekommen

Geschrieben von: am 05. Mai 2020 um 22:48

Das Bundesverfassungsgericht hat heute ein Urteil gefällt und die Beschlüsse der EZB zu einem der vielen Staatsanleihekaufprogramme als kompetenzwidrig bezeichnet. Damit kommt das Gericht zu einer anderen Auffassung als der EuGH, der die Praxis der Zentralbank nicht beanstandete. Karlsruhe begründet seine Haltung mit albernen Stammtisch-Argumenten und setzt mit einem ultra-vires-Akt sogar noch einen drauf. Diese Dummheit hat Folgen, aber auch Gründe, für die das Gericht nicht wirklich etwas kann.

In der Begründung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts heißt es:

Zu den Folgen des PSPP gehören zudem ökonomische und soziale Auswirkungen auf nahezu alle Bürgerinnen und Bürger, die etwa als Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer jedenfalls mittelbar betroffen sind. So ergeben sich etwa für Sparvermögen deutliche Verlustrisiken.

Quelle: BverfG

Das Bundesverfassungsgericht argumentiert einseitig. Es wirkt fast so, als wolle Voßkuhle und sein Senat die deutsche Politik und deren besondere Haltung in Fragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik, die durch fehlende Mitwirkung bei der Erreichung des gemeinsamen Inflationsziels auffällt, in Schutz nehmen. Es ist ja nicht die Geldpolitik der EZB, die nachteilige wirtschaftliche und soziale Folgen für deutsche Bürger mit sich bringt, sondern eine politische Überzeugung hierzulande, die notwendige Ausgaben für entbehrlich hält, da Schwarze Nullen und Schuldenbremsen eben wichtiger sind, als intakte Schulgebäude oder vernünftige Löhne.

Dass es den gemeinsamen Währungsladen Eurozone überhaupt noch gibt, ist zweifelsfrei der EZB und ihrer unkonventionellen Geldpolitik zu verdanken, die, und das ist sicherlich richtig von den Klägern vorgetragen, nicht durch ein entsprechendes Mandat gedeckt ist. Das Problem liegt also beim Mandat und nicht bei den Handlungen der EZB, die nun aber, so will es das Karlsruher Gericht, der Bundesregierung sowie dem Bundestag eine bessere Prüfung der Verhältnismäßigkeit ermöglichen muss. Dabei wird umgekehrt ein Schuh daraus. Der deutsche Gesetzgeber müsste mal erklären, warum er die niedrigen Zinsen nur für die Konsolidierung des Bundeshaushaltes, nicht aber für die Sanierung der eigenen Infrastruktur oder jener europäischen Staaten genutzt hat, die, weil sie ja dem Musterschüler zu folgen hatten, zum Beispiel in elementaren Bereichen wie der Gesundheitsversorgung zu Einsparungen gezwungen waren.

Kompetenzüberschreitung

Deutschland ist europaweit der größte Profiteur der Niedrigzinsphase. Seit der Finanzkrise 2008 sind in zehn Jahren 368 Milliarden Euro an Zinskosten eingespart worden. Das entspricht mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wie das Handelsblatt vor einem Jahr schrieb. Die Schwarze Null wäre ohne die tatkräftige Unterstützung der Währungshüter in Frankfurt gar nicht möglich gewesen. Allerdings gehört zur Wahrheit ebenfalls, dass die Europäische Zentralbank als Teil der Troika mithalf, Mitglieder der Eurozone politisch unter Druck zu setzen. So schnitt die EZB Griechenland während der Eurokrise von der Geldversorgung ab. Es gab auch Briefe aus Frankfurt an die Regierungen in Rom und Madrid, sie mögen doch zackig Maßnahmen umsetzen, wie die Privatisierung öffentlicher Leistungen oder den Abbau des Kündigungsschutzes. Über diese Kompetenzüberschreitung der EZB wird aber hierzulande nie gesprochen, vermutlich deshalb nicht, weil sie dabei hilft, absurde Stabilitätsregeln in ganz Europa zu exekutieren.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt im Grunde, dass die Differenzierung zwischen Geldpolitik auf der einen und Wirtschaftspolitik auf der anderen Seite, die ursprünglich der Vorstellung des Monetarismus entsprang, totaler Unfug ist. Beides lässt sich eben nicht voneinander trennen, was die Richter des zweiten Senats allerdings übersehen und daher zwangsläufig zu schwachsinnigen Begründungen kommen. So ist beispielsweise der Süddeutschen Zeitung aufgefallen:

Karlsruhe muss sich allerdings auch eine gewisse Ambivalenz vorwerfen lassen. Einerseits betont Voßkuhle, dass es nicht Aufgabe der EZB sei Wirtschaftspolitik zu betreiben. Andererseits erwähnt er selbst ausdrücklich die wirtschafts- und sozialpolitischen Folgen der EZB-Politik für die deutschen Bürger, die mit null Zinsen leben müssen und steigenden Immobilienpreisen.

Auch der Ökonom Peter Bofinger ist irritiert. Er hat über Twitter eine etwas schärfere Kritik formuliert und spricht vom Stammtisch, der nun auch in Karlsruhe angekommen sei.

Mark Schieritz fragt auf Zeit Online ungläubig, ob es denn in Karlsruhe kein Internet gebe. Sonst hätte der zweite Senat vermutlich gewusst, dass die 3000 Mitarbeiter der EZB eben keine Däumchen drehen, sondern sehr genau Vor- und Nachteile abwägen, bevor sie ihre Entscheidungen treffen. Dies könne man auch in Reden, Blogbeiträgen und Aufsätzen der Direktoriumsmitglieder nachlesen, wenn man es denn wollte, so Schieritz. Aber da sind wir wieder am Anfang. Das Gericht hat sich auf eine Expertise gestützt, die zu einer einseitigen Betrachtung führen muss. Das ist fachlich einfach nur schwach und dumm dazu.

Denn verheerender ist eine andere Bemerkung des Gerichts, deren problematische Wirkung der aus dem Amt scheidende Voßkuhle immerhin zu ahnen scheint. Das Bundesverfassungsgericht hat dem EuGH erstmals die Kompetenz abgesprochen, über eine andere europäische Institution auf der Grundlage der Verträge ein Urteil zu fällen. Was für eine Anmaßung, die eigentlich die Europapulli-Träger des vergangenen Jahres auf den Plan rufen müsste, die sich im Wahlkampf noch so angewidert über nationalen Chauvinismus beschwert haben. Das Urteil müssen sie doch als Wasser auf die Mühlen der sogenannten Populisten begreifen. Nein, die deutsche Dominanz ist ja für nicht gegen Europa gerichtet, so die Erzählung.

Dabei zeigt das Urteil genau die Widersprüche auf, die sich aus den untauglichen Verträgen ergeben. Sie zu verehren, ist daher keine besonders schlaue europäische Tugend. „Wer mehr Europa will, der muss die Verträge ändern“, schreibt Schieritz. Damit hat er Recht. Doch bis es so weit ist, muss man die Verträge eben brechen, um eine Zerstörung dessen zu verhindern, was man gern als Friedensprojekt erhalten möchte. Das Vorgehen der EZB zu den Anleihekäufen mag verfassungsrechtlich fragwürdig sein, ökonomisch vernünftig ist es allemal, gerade in der jetzigen Krise, deren Kosten alles bisher dagewesene übersteigt. Auch wenn es die die Schwarzen Nullen diesseits des Rheins immer wieder beteuern. Ihre Sparstrümpfe nützen überhaupt nichts.


Bildnachweis: Brigitta Berninger auf Pixabay

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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