Zu Neues aus der Anstalt – Folge 37

Geschrieben von: am 20. Okt 2010 um 12:05

Die mediale Kritik an der gestrigen Anstalts-Sendung und dem ersten Auftritt von Frank-Markus Barwasser als Erwin Pelzig an der Seite von Urban Priol ist zum Teil recht albern. Noch immer wird Barwasser an Georg Schramm gemessen, obwohl diesbezüglich längst klargestellt wurde, dass weder Barwasser und Priol einen Ersatz für Schramm präsentieren wollten, noch die Medien einen solchen erwarteten. Sie tun es aber trotzdem, weil ihnen über die sehr gute Quote hinaus kaum etwas eingefallen ist, worüber man hätte schreiben können.

So beklagt man sich zum Beispiel darüber, dass Barwasser hölzern gewirkt habe und dass das Zusammenspiel mit Priol darunter litt, weil sich die Figur Pelzig zu sehr an das akribisch ausgefeilte Drehbuch gehalten habe. Mein Gott wie armselig. Neues aus der Anstalt ist die wohl einzige Live-Kabarett-Sendung im deutschen Fernsehen, in der es ein richtiges Drehbuch gibt und in der die Akteure nicht vom Teleprompter ihre Texte ablesen, sondern sie auswendig lernen und somit dem Publikum Szenen ohne technische Sicherungsleine richtig vorspielen müssen. Das nun wieder zu kritisieren, ist mehr als albern, zumal dann auch das Spiel zwischen Schramm und Priol nach dieser Definition als zwingend hölzern betrachtet werden müsste.

Aber das war überhaupt nicht der Fall. Barwasser ist nicht Schramm oder richtiger ausgedrückt, Pelzig ist nicht Dombrowski und ein Angestellter für Öffentlichkeitsarbeit auch kein Patientensprecher. Mir scheint, die berichtenden Medien haben die Rollenverteilung nicht kapiert. Im Gegensatz zu Dombrowski versteht sich Pelzig als Bindeglied nach außen, der die zum Teil wirren Gedanken der Anstaltsinsassen einschließlich der Leitung zu einem produktiven oder wenn man so will destruktiven Schlag verhelfen will. Deshalb zeigt Pelzig dem Priol auch neue Hemden im Vorspann oder beschimpft ihn in der Sendung als Sprachrohr einer diffusen Unzufriedenheit, dessen systemerhaltendes Genörgel ihm eines Tages noch das Bundesverdienstkreuz einbringen würde und sonst nichts.

Schließlich ist der Dombrowski seinerzeit ja auch nur deshalb ausgezogen, weil er gemerkt hat, dass er in der Anstalt nichts mehr bewegen konnte. Er musste raus, die eigene Alterskohorte mobilisieren. Das kann man auch heute noch auf seiner Homepage nachlesen:

Lothar Dombrowski ist aus der Anstalt ausgebrochen. Es gilt eine Botschaft unter die Menschen zu bringen. Für tatenloses Grübeln ist der globale Niedergang schon zu weit fortgeschritten. Er geht auf Werbetour und sucht Mitstreiter unter Gleichgesinnten und Altersgenossen, die nicht mehr viel zu erwarten haben und die wie er, lieber im Blitzlicht der Öffentlichkeit scheitern, als gehorsam bis zum kläglichen Ende im Pflegeheim dahin dämmern.

Urban Priol hingegen, wollte sich lieber samt persönlicher Habe einliefern lassen und alle Brücken nach draußen abrechen. Und diese abgebrochene Verbindung versucht Pelzig nun wiederherzustellen. Den Bezug zur Realität sozusagen. Priol dürfe nicht das Ventil auf einem Kessel sein, der längst zu platzen drohe und eine Sau, die sich nur an der Eiche scheuere, bringe selbige nicht zum umfallen. Da bedürfe es schon einer anderen Strategie.

Und da kommt der Pelzig ins Spiel, der nicht einfach nur den Seibert für Priol geben will, sondern sich als ein von der Verwaltung eingesetzter Berater versteht, der seinem Chef in belebender Auseinandersetzung die richtige Strategie näherzubringen versucht. So soll das Spannungsfeld grob umrissen aussehen. Pelzig soll eben kein Dombrowski sein, sondern jemand, der nach Dombrowski die zweifelhafte Autorität von Herrn Priol als Stationsleiter in Frage zu stellen versucht.

Ich habe ihn als einen Mann mit beträchtlichem Quälpotential ohne jegliche Bereitschaft zur Unterordnung kennen und schätzen gelernt. Ein Glücksgriff für die Anstalt. Herr Priol wird sich noch wundern.

Und Priol hat sich gewundert, sogar so sehr, dass er am Ende einen Notaufnahmeantrag für die CDU unterschrieben hat. Bösartig und doch konstruktiv. So kann es meiner Meinung nach ruhig weitergehen.
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Das Video zur Sendung finden sie wie immer in der ZDF-Mediathek:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/hauptnavigation/startseite/#/beitrag/video/1167976/Neues-aus-der-Anstalt-vom-19102010

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Einhard  Oktober 20, 2010

    Ich fand schon, das einige Dialoge von „Pelzig“ gerade am Anfang klangen, als seien sie für Dombrowski geschrieben, andere hätte man sich eher im Stil von Schramm gewünscht, aber es ist auch klar, das „der Neue“ da doch erst reinwachsen muß.

    • adtstar  Oktober 20, 2010

      Eben. Kabarettistisch betrachtet ist Barwasser ein Solist wie viele seiner Kollegen auch. Seine Stärke liegt aber auch in der Schlagfertigkeit, die im Gespräch mit Interviewpartnern unterschiedlichster Art zum Tragen kommt. Daneben ist seine journalistische Erfahrung und sein Wissen, das sich hinter der eher bieder wirkenden Gestalt Pelzig verbirgt, jenes Kriterium, das ihn für die Rolle an der Seite Priols prädestiniert.

      Das Spiel mit einem Partner wie Priol muss sich erst enwickeln. Nur die Voraussetzung dafür ist eine klare Definition der Rolle. Und die wird meines Erachtens von vielen Medien gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Die schreiben zwar etwas über einen PR-Beauftragten, aber warum der das nun macht, wird nicht deutlich.

      Neues aus der Anstalt ist eben kein Kabarett-Stammtisch oder eine Comedy-Veranstaltung, wo es um die Schlagzahl der Pointen geht, sondern der Versuch einer schauspielerischen Darbietung. D.h. es gibt eine Story, die live erzählt wird. Das ist immer noch das Schwierigste in der modernen Kultur der Fernsehunterhaltung.

  2. Susan  Oktober 20, 2010

    „Neues aus der Anstalt“ hat etwas an Format verloren, obwohl es nicht schlecht war. Und ich glaube schon, dass diese Sendung nie wieder so gut werden wird. Sie ist aber immer noch die beste Kabarett-Sendung im Fernsehen. Schramm hat eine Lücke hinterlassen, die niemand ausfüllen kann, zumindest nicht „Herr Pelzig“. Ein Pispers wäre da schon ein anderes Format. Schramm war ja auch nicht nur der Herr Dombrowski, er war der Mahner der Nation und dass mit harten Worten, bei denen einen das Lachen im Halse steckengeblieben ist. Es ist nicht verwunderlich, dass der Nachfolger mit Schramm verglichen wird. Das ist das Normalste der Welt, aber die Schuhe, die Schramm hinterlassen hat, sind zu groß für seinen Nachfolger. Bei dem kann man schon wieder aus ganzem Herzen lachen. Das ist der große Unterschied.

    • adtstar  Oktober 20, 2010

      Also Pispers wäre gerade nicht geeingnet. Die Stärke von Pispers ist die präzise Sprache nicht die Interaktion. ;)

      • Susan  Oktober 21, 2010

        Nun gut, dass ist Ansichtssache. Mich stört ungemein, dass man sich jetzt wieder auf die Schenkel klopfen kann. Das ist der qualitative Abfall, den ich meine. Aber meine Auffassung von politischen Kabarett ist anscheinend eine andere und dazu gehört eben der feinsinnige Pispers dazu. Übrigend, die Interaktion war mir auch zu gewollt und scheint mir auch nicht die große Stärke des neuen Duos zu sein.

  3. adtstar  Oktober 20, 2010

    Die erste brauchbare Kritik an der Sendung, die ich im Netz gefunden habe…

    http://www.mainpost.de/ueberregional/kulturwelt/kultur/Neues-aus-der-Anstalt-Wie-Priol-und-Pelzig-feierten;art3809,5786662,1#__

  4. Careca  Oktober 24, 2010

    Ich finde es bedauerlich, dass nur auf die Nachfolge von Georg Schramm abgezielt wird. Und es amüsiert mich auch ein wenig. Cui bono?
    Schramm hatte zehn Jahre regelmäßig die rar gesäten, ernstzunehmenden Kabarettabende des deutschen Fernsehens mit bestritten, und mit Pause tourt er nun mit seinem Solo-Programm von Bonn aus durch Deutschland und die Kritiken sind ob des Programms beeindruckend.
    Wenn nun Frank-Markus Barwasser als sein Alter Ego Erwin Pelzig die Seite an Urban Priol einnimmt und gleich vorweg schickt, dass systemerhaltenes Genörgel und Geschimpfe nur als Sprachrohr einer ziemlich diffusen Unzufriedenheit dient. Damit ist dann auch die Rolle von dem Alter Ego Pelzig in der Anstalt definiert.“Du musst der Borkenkäfer sein und nicht die Sau“ und so verfährt auch die neue Strategie der Kabarett-Sendung von Priol/Barwasser. Wer auf den chronisch schlecht gelaunten Dombrowski abfährt, dem muss Pelzig wie Weichspüler erscheinen, weil Pelzig nicht so direkt in der Ansprache wie Dombrowski und der Pharmareferent ist. Nur, das waren August und Sanftleben auch nicht.
    Pelzig ist nicht so spektakulär wie der Preuße, aber seine Ansprache kommt auch nicht minder als Weichspüli oder als Comedy daher.
    Es ist eigentlich wirklich bedauernswert, dass in diesem ganzen After-Schramm-Gejammere das hervorragende Solo von Helmut Schleich unterging („Wenn einer voll integriert ist, dann fallt er gar nich mehr auf … solang er den Mund hält, derf er do bleibn“). Den Ball von Schleich aufgenommen über Jürgen Becker weitergespielt und in Quintessenz über Rebers verwandelt, das hatten die beiden meisterhaft geschafft.
    Das ist vielleicht das Gute daran, dass Schramm nicht mehr mitspielt: Die Texte von Barwasser und Pelzig und deren Gäste gewinnen erheblich in der Aufmerksamkeit der Zuschauer. Daher kündet das After-Schramm-Gejammere davon, dass das genaue Hinhören der Kritiker nicht mehr so trainiert ist.
    Pelzig ist für die Kritiker das Integrationsproblem der eigenen Erwartungshaltung. Es wird nicht mehr so viel „Der hat es denen jetzt aber mal gegeben“ schenkelklopfenderweise geboten, sondern der Zuschauer muss von aufgebauten Angewohnheiten Abschied nehmen. Daher erscheint vielen Kritikern Frank-Markus Barwasser als hölzern. Aber Barwasser war noch nie anders. Ein fränkischer „Konsonantenschänder“ eben. Und das ist auch gut so. Wären alle wie Schramm, auf der Dauer würde es doch langweilig werden. Dann würden wir wie Merkel ins gleiche Horn stoßen, dass Multikulti gescheitert sei (meinte sie dabei den nach Madrid abgewanderten Balltreter Özil, ihren asiatisch-abstämmigen Rösler, den bayrischen Problemsilberbären Seehofer und den rheinländischen Vorzeige-Homosexuellen Westerwelle?). Und wir hätten alle ein Integrationsproblem in Sachen politisches Kabarett. Es wäre nicht mehr das Spiel mit den Bruchstellen unseres Wissens.