Die Union kommt mit jedem Programm durch

Geschrieben von: am 21. Jun 2021 um 17:56

Warum kommt das Wahlprogramm der Union eigentlich so spät? Na, weil CDU und CSU die Parteien sind, die am wenigsten eins brauchen, um Wahlen zu gewinnen. Das gehört zu der Abteilung Marketing und Propaganda, hieß es am Wochenende im Presseclub. Das stimmt, allerdings müsste das nicht so sein. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass es für die Union einfach immer gut läuft. Politikwissenschaftler wie Journalisten sagen ja bereits, dass es auf Parteiprogramme gar nicht so ankomme. Köpfe spielen auch eine Rolle. Mit anderen Worten: Man nimmt es der Union nicht krumm, wenn die rund 140 Seiten gequirlten Unsinn vorlegt.

Am Anfang steht die Koketterie. So zeigte sich Armin Laschet erstaunt darüber, dass es offenbar so eine Sehnsucht nach Parteiprogrammen gebe, obwohl doch niemand sie angeblich wirklich lese. Es werde nur auf etwas gewartet, von dem man auch etwas erwartet. Markus Söder ergänzte, dass der Programmprozess bewusst so gelaufen sei und er den späten Termin als taktischen Vorteil werte, weil die Union der Marktführer für Politik sei. Damit soll noch einmal die Bedeutung der Union unterstrichen werden, ohne die eine Regierungsbildung auch dann nicht möglich ist, wenn es die Mehrheiten zuließen.

Keine Experimente

Dafür gibt es ja auch Beispiele. So blieben mögliche Bündnisse jenseits der Union nach den Bundestagswahlen 2005 und 2013 ungenutzt. Die Union regiert nun seit 16 Jahren im Kanzleramt. Das allein erklärt schon, warum jedes Programm überflüssig ist. Denn unter normalen Umständen würde man immer feststellen, dass die Gelegenheit für Gestaltung und Veränderung schon längst gegeben war. Es wäre unglaubwürdig, nun Missstände aufzuzeigen, für die man selbst die Verantwortung trägt. Das Programm daher „Stabilität und Erneuerung“ zu nennen, ist nur konsequent. Sie hätten in Anlehnung an frühere Zeiten auch schreiben können: Keine Experimente!

Mehr ist es auch nicht, was die Union anzubieten hat. Steuergeschenke für Vermögende, weitere Privatisierungen, das Festhalten an der Schuldenbremse und natürlich die Schwarze Null. Die Rezepte von gestern, bestimmen auch das Menü von morgen. Und der große Widerspruch bleibt einfach stehen. Zwar weisen die politischen Berichterstatter darauf hin, dass schwarze Null, Steuersenkungen, Schuldenbremse und Investitionen nicht zusammenpassen. Das wird dann aber mit „Mut zur großen Finanzierungslücke“ einfach wegdiskutiert. Schließlich fallen die geplanten Steuererleichterungen ja nun bescheidener aus.

Die konkreteren Vorhaben ließen sich ohne größere Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben verkraften, vor allem wenn sie schrittweise eingeführt würden. Hat am Ende also doch die Einsicht in das Mach- und Finanzierbare in den Reihen der Union die Überhand gewonnen?

Quelle: DER SPIEGEL

Längst erzählt man schon wieder die Mär von den Unternehmen, deren steuerliche Begünstigung Voraussetzung für ein Hinauswachsen aus der Krise ist. Man nennt das dann „Entfesselungspaket für die Wirtschaft“. Dass aber gerade die Unternehmen zu den Nettosparern zählen, in Geld und Ersparnissen also schon seit Jahren schwimmen und trotzdem kaum investieren, spielt für die Analyse der meisten Beobachter keine Rolle. Dafür müsste man ja etwas von Volkswirtschaft verstehen, eine Kompetenz, die auch bei der Union keine Heimat hat. In deren Programm steht einmal mehr, dass der Verzicht auf neue Schulden etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun habe.

Schuld haben die Sozis

Warum lässt man dann aber zu, dass sich das Ausland weiter exorbitant verschuldet? „Wie die Finanzierungssalden für Deutschland […] zeigen, war das systematische Sparen der deutschen Unternehmen in den vergangenen zwanzig Jahren nur möglich, weil fast immer das Ausland die Rolle des Schuldners übernommen hat“, schreibt der Ökonom Heiner Flassbeck. Im Jahr 2020 trat der Staat mit einer massiven Neuverschuldung dazu. Das soll nach dem Willen der Union nun rasch beendet werden. Das geht dann nach der Logik aber nur, wenn sich das Ausland in noch größerem Umfang verschuldet, also sicherstellt, dass es Ersparnisse auf Seiten von Privathaushalten, Unternehmen und dem Staat geben kann.

Diese Strategie ist nicht nachhaltig, da andere Länder dauerhaft bereit sein müssen, Defizite und die Häme der Deutschen hinzunehmen, die über die mangelnde Solidität der anderen dann wieder nur abfällig spotten. Für den Wahlsieg der Union wird es trotzdem reichen, weil auch die breite deutsche Öffentlichkeit Schwarze Null und Schuldenbremse fälschlicherweise mit Stabilität identifiziert. Dafür haben vor allem die Medien gesorgt, weshalb sie das Programm der Union nicht wirklich kritisieren können und ihr Publikum stattdessen lieber mit lächerlichen Spritpreisfragen langweilen. Die fundamentalen Widersprüche werden zwar erkannt, bleiben aber einfach stehen. Man lässt es ihnen durchgehen.

Deshalb wird es nach der Wahl ganz einfach laufen: Bei einem Kassensturz wird man feststellen, dass der „schlumpfig grinsende“, sozialdemokratische Finanzminister den Staatshaushalt vollends ruiniert hat, Söder deutete das heute bereits an. Das macht letztlich auch eine Koalition aus Union und Grünen wahrscheinlicher, da beide Partner bei der Finanzierungsfrage ohnehin nicht zusammenkommen, aber unbedingt regieren wollen. Den einen geht es um Machterhalt, den anderen um die lang ersehnte Machtbeteiligung. Dafür wird Annalena Baerbock auch gern auf den Führungsanspruch sowie grüne Inhalte verzichten und für ihren Lebenslauf zunächst Erfahrungen in einem Ministeramt sammeln.


Bildnachweis: CDU Deutschland auf Twitter am 27.11.2019

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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