Eine Sprechpuppe lullt alle ein

Geschrieben von: am 17. Jul 2019 um 14:09

Am Tag nach der Wahl im Europaparlament überschlagen sich die Medien mit Superlativen und Vorschusslorbeeren für Ursula von der Leyen. Das ist zum einen urkomisch, weil in den Stellungnahmen eine nationalbesoffene Grundhaltung dominiert, die so gar nicht europäisch ist. Endlich eine Deutsche und eine Frau, heißt es im nationalen Überschwang. Damit das aber nicht so auffällt, dichtet man einfach die Geschichte einer großen Europäerin dazu. Das ist Ursula von der Leyen aber nicht. Sie ist überzeugte Transatlantikerin, gehört also zu jener dominierenden Gruppe von Politikern, die sich nicht den Interessen Europas, sondern in erster Linie denen der USA verpflichtet fühlen. Dass sie trotzdem wie eine Europäerin wirkt, ist nicht zuletzt ihrer Rede zu verdanken, die sie gestern im Parlament hielt und derzeit landauf landab als große Rede gefeiert wird. Doch diese Rede war keineswegs überraschend. Sprechpuppen wie von der Leyen sind schließlich bekannt dafür.

Schlechte Stile

Den Vorwurf Sprechpuppe, den Heiner Flassbeck in einem Beitrag auf Makroskop wählte, mag despektierlich klingen, ist aber absolut zutreffend, wenn man sich die Karriere und die Funktionen von der Leyens noch einmal in Erinnerung ruft. Sie wurde aus dem Nichts Familienministerin in Niedersachsen. Nichts heißt in diesem Zusammenhang, dass sie auf die Netzwerke ihres Vaters Ernst Albrecht zurückgreifen konnte. Von dort war der Sprung nach Berlin wiederum leicht. Sie wechselte ins Bundesfamilienministerium, war dann Arbeitsministerin und schließlich Verteidigungsministerin. Das alles erreichte sie ohne eine fachliche Eignung, dafür aber mit dem Talent, Sätze schön vortragen zu können, die man ihr vorher auf Zettel schrieb. Das machen zugegebenermaßen viele Minister so, die nur des Proporzes oder anderer Dinge wegen, aber ganz sicher nicht aufgrund ihrer Eignung für ein Amt berufen werden.

Bei von der Leyen ist es aber besonders schlimm, weil zu der mangelnden Eignung auch noch eine Reihe von Skandalen und katastrophalen Fehlleistungen bei jedem ihrer Ministerjobs hinzukommt. Diese peinliche politische Bilanz wird aber komplett unter den Teppich gekehrt, weil von der Leyen ja angeblich als große Europäerin eine Top-Personalie für den Vorsitz der EU-Kommission ist. Der Hinweis auf ihre Verfehlungen, die vor allem von den Medien durchaus kritisch aufgearbeitet worden sind, gilt plötzlich als Schmutzkampagne. Den deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament, die ein sogenanntes Backround-Papier mit dem Titel „Why Ursula von der Leyen is an inadequate and inappropriate candidate“ verteilten, unterstellte man einen schlechten Stil. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass ein guter Stil nur sein kann, wenn es eine Art deutsche Geschlossenheit im EU-Parlament gegeben hätte. Es geht also erneut um eine nationalbesoffene Dimension, wie europäisch.

Nur ein Anhängsel der NATO

Komisch ist das auch deshalb, weil die Deutschen im Europaparlament, mit Ausnahme von CDU, CSU und FDP, eigentlich mehrheitlich gegen von der Leyen waren. SPD, Grüne, Linke und auch die „Patridioten“ von der AfD stimmten nicht für die erfahrene PR-Fachfrau, die in ihrer Selbstsicht angab, in all ihren Ämtern schon immer besonders europäisch gehandelt zu haben. Eine Überprüfung hält diese abgehobene Aussage nicht Stand, obwohl man anführen könnte, dass ihr Plädoyer für eine europäische Armee Ausdruck des Gegenteils wäre. Diese Haltung ist aber nur eine übernommene, also vorgeschriebene Position, die es schon lange gibt und zunächst in Konkurrenz zur NATO entwickelt worden ist. Die Europäer sollten unabhängig von den USA selbst für ihre Sicherheit einstehen. Ursula von der Leyen wie auch die Bundesregierung hatten aber immer etwas anderes im Sinn. Und zwar die Armee der Europäer. Sie soll sich einfügen in das Konstrukt der NATO und damit unter der Vormundschaft der USA verbleiben, wie auch bei der Berliner Sicherheitskonferenz im vergangenen November durch von der Leyen noch einmal klargemacht wurde.

Mir ist wichtig, dass klar ist und bleibt: Wir sind und bleiben der NATO ebenso verpflichtet wie Europa! Die Stärke der Allianz lebt vom gemeinsamen Bekenntnis und Handeln.

Quelle: BMVG

Das ist eben nicht europäisch selbstbewusst, sondern transatlantisch unterwürfig. Bei ihrer militärischen Agenda helfen wird ihr die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die den Vorschlag einer Armee der Europäer vorbehaltlos unterstützt und auch dafür ist, den bislang verbindlichen Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr „ein Stück zurückfahren“. Kaum noch einen öffentlichen Aufschrei gibt es bei der Höhe der Rüstungsetats. Europa ist mittlerweile bei über 340 Milliarden Dollar angelangt. Damit wird mehr Geld ausgegeben als das beispielsweise Russland und China zusammen tun. Und die Amerikaner wollen noch mehr. Allein in Deutschland hat es von der Leyen als Bundesverteidigungsministerin geschafft, den Etat ihres Ressorts von 30 auf 45 Milliarden Euro aufzublasen. Die Skandale bei Beschaffung und Aufklärung interessieren da nur am Rand.

Der edle Leitartikler hat auch einen Sprechzettel

So verschwendete die Ministerin hunderte Millionen Euro Steuergelder, weil sie ohne Prüfung Aufträge an externe Beratungsunternehmen wie McKinsey, KPMG und Accenture vergab. Von Vetternwirtschaft ist in diesem Zusammenhang die Rede und von korrupten Vergabemethoden, die aktuell in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden. Vor diesem soll die neue Kommissionschefin auch weiterhin erscheinen und für Aufklärung sorgen. Das wird ihr bei der unkritisch gewordenen Presselandschaft auch problemlos gelingen, da die ihre Sprechzettel ebenfalls schon vorbereitet hat. Den edlen Leitartiklern der Republik ist nur wichtig, dass es Europa in schwierigen Zeiten gelungen sei, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Alle lieben von der Leyen, wie schön, nur die SPD und die Grünen gelten als Spielverderber, deren Ablehnung natürlich „kaum noch begründbar sei“. Dabei überwiegen die negativen Gründe eindeutig. Das will der Kampagnenjournalist aber nicht sehen. Der braucht eine gute Story, um nicht darüber reden zu müssen, dass die rechte Fidesz aus Ungarn und die rechte PiS aus Polen gerade damit prahlen, von der Leyen erst ermöglicht zu haben und was das eigentlich über die Kandidatin und den gesamten Prozess aussagt. Nein, auf dem Sprechzettel des edlen Leitartiklers steht, dass er, wie alle anderen auch, auf eine wohl unverschämte SPD einzudreschen hat, die es mit ihren 16 Leuten wagte, aus der Reihe, Pardon, der Mitte zu tanzen. Zum Glück gibt es Leute wie Thomas Oppermann, übrigens auch ein Niedersachse, die ihrer Partei noch immer gern in den Rücken fallen.

Den edlen Leitartikler der Hofjournaille freut’s. Er kann über die zerstrittenen Sozis schreiben, während ein korruptes Personaltableau der EU, dass mit ganz Rechtsaußen paktiert ohne ein kritisches Wort davonkommt. Da hilft nur Satire, die aufklärend wirkt.

Kurze Anmerkungen zu den Personalvorschlägen des Rates. Korrigieren Sie mich gern, aber ein erster kurzer Überblick ergibt folgendes:

Josep Borrell: Ein spanischer Tüp, der als Präsident des Europäischen Hochschulinstituts zurücktreten musste, weil er vergessen hatte, ein 300.000-Euro-Jahreseinkommen bei einem Energieversorger anzugeben, soll Außenbeauftragter der EU werden?

Christine Madeleine Odette Lagarde: Eine Französin, die wegen Veruntreuung von 400 Millionen Euro öffentlicher Gelder im Falle Tapie schuldig gesprochen wurde und noch nie eine nationale Notenbank geleitet hat, soll die EZB leiten?

Charles Michel: Ein Belgier, der nicht einmal in Belgien eine funktionierende Regierung bilden konnte, und der mit Rechtsradikalen paktiert, soll Ratspräsident werden und für den Ausgleich immer komplexerer nationaler Interessen in der EU sorgen?


Ursula vonderLeyen: Eine erfolglose deutsche Ministerin, die lediglich durch einen irren Hang zu überteuerten externen Beratern, Missmanagement und Euphemismen („Trendwende Finanzen“ für die größte deutsche Aufrüstungsanstrengung seit Kriegende) aufgefallen ist, und die von den illiberalen Visegrád-Staaten gestützt wird, die zuvor den konservativen Sozialdemokraten Timmermans als linksradikal abgelehnt haben, soll EU-Kommissionspräsidentin werden?


Was für eine Parade der Inkompetenz! Europa nicht den Leyen überlassen…

Quelle: Martin Sonneborn, Die Partei im Europaparlament

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Armin Pieroth  Juli 17, 2019

    Deutscher Verteidigunsminister ist ein Schleudersitz für unliebsame Kanzler-Konkurrenten. VdL hat versagt und wird nach Brüssel abgeschoben. Nachhaltiger ging das mit Guttenberg. Jetzt sitzt die Nr. 1 der CDU im Schleudersitz. Man kann das eingentlich nur nachempfinden, wenn man davon ausgeht, dass Frau Merkel auch noch die nächste Legislaturperiode regieren will. Die Dame begreift nicht, wann man aufhören sollte.
    Allerdings: bei der bestehenden Auswahl an möglichen Nachfolgern hat sie vielleicht Recht. Nicht weil Merkel so gut ist, sondern weil die Auswahl so medioker ist.
    Dass sich das EP die vdL in einem zweifelhaften und undemokratischen Prozess aufs Auge drücken läßt, ist ein Armutszeugnis: Millionen Euro für die Europawahl wurden schlicht in den Sand gesetzt. Und dann beklagt man sich über die Europamüdigkeit der Bürger. Oberfaul, verantwortungslos und/oder müde sind die Politiker, nicht die Bürger.