Die Woche: Falsch abgebogen

Geschrieben von: am 19. Apr 2019 um 11:50

Zu Beginn der Woche sollen die Finnen angeblich nach links abgebogen sein, weil die Sozialdemokraten die Wahlen knapp gewonnen haben. Ein positives Signal, wie der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner in einer Reaktion auf Twitter freudig meinte. Doch mit 17,7 Prozent können Finnlands Sozialdemokraten erst einmal wenig anfangen. Sie haben 40 Sitze und damit nur einen mehr als die „Wahren Finnen“, die zum äußeren rechten Spektrum der Parteienlandschaft zählen und bei der Wahl 17,5 Prozent der Stimmen erhielten. Auf Platz drei landete die konservative nationale Sammlungspartei (KOK) mit 17 Prozent und dahinter die Finnische Zentrumspartei (KESK) des amtierenden Ministerpräsidenten mit 13,8 Prozent. Erst dann folgen die Grünen und Linken, mit denen allein es nicht zu einer Mehrheit reicht.

Das Ergebnis der Rechten sollte den Sozialdemokraten dann auch zu denken geben, die mit dem Slogan „Europa ist die Antwort“ aktuell ihren Europawahlkampf bestreiten und dabei über antieuropäische Tendenzen klagen, deren Herkunft sie aber weiterhin verschleiern. Der Brexit ist gerade auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben worden. Die Briten müssen daher an der Europawahl teilnehmen. Stärkste Kraft könnten nach jüngsten Umfragen aber wieder die Brexiteers von Nigel Farage werden. Das ist dann wohl auch ein dezenter Hinweis darauf, wie ein zweites Referendum ausgehen könnte, das gerade von vielen und insbesondere den Sozialdemokraten gefordert wird.

Die Ursachen für die zunehmende Ablehnung der Europäischen Union und das Erstarken antieuropäischer Parteien hat Gründe, die eben nicht in erster Linie an bösen Agitatoren wie Nigel Farage, Boris Johnson u.Ä. festzumachen sind. Es hat etwas mit denen zu tun, die die Regierungen stellen und von ihren Wahlprogrammen längst abgebogen sind.

Die unbeachtete Rezession

Ein wichtiger Aspekt ist dabei die wirtschaftliche Entwicklung. Sie ist merklich ins Stocken geraten. Der deutsche Wirtschaftsminister tut aber so, als handele es sich mal wieder um eine vorübergehende Schwächephase, aus der man mit Hilfe der jetzt wieder guten Chinesen herauskomme, die, man höre und staune, Konjunkturprogramme auflegen wollen. Das ist etwas, was die Bundesregierung gerade wieder für unnötig befunden und daher abgelehnt hat. Man vertraut also weiterhin darauf, dass die Impulse aus dem Ausland kommen werden und der deutschen Wirtschaft schon irgendwie helfen.

Bis dahin gilt übrigens eine völlig neue Devise, wie Andreas Niesmann vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in dutzenden Zeitungen meint: Sparen.

Haushaltsexperten rechnen bereits damit, dass die Einnahmen des Staates im Vergleich zur Oktoberschätzung um einen zweistelligen Milliardenbetrag sinken werden. Geld für teure Koalitionskompromisse und zusätzliche Ausgabenprogramme wird es dann nicht mehr geben. Nach Jahren des Geldausgebens muss die Politik umschalten. Die neue Devise heißt: Sparen.

Quelle: Andreas Niesmann/RND via HAZ

Was ist daran denn neu? Richtiger hätte die Formulierung lauten müssen, dass nun eine weitere Verschärfung der seit Jahren exekutierten Sparpolitik droht. Etwas anderes hat es unter den Anbetern der Schwarzen Null nämlich nie gegeben. Das hat der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Eckhardt Rehberg in dieser Woche noch einmal auf den Punkt gebracht, als er die neue Schuldenstandsquote als großen Erfolg abfeierte.

„Erstmals seit dem Jahr 2002 wird die Schuldenstandsquote unter dem Maastricht-Kriterium von 60 Prozent liegen. Deutschland hält damit alle nationalen und europäischen finanzpolitischen Vorgaben ein. Diese solide Haushaltspolitik ist kein Selbstzweck, sondern steht für Generationengerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit. Das Stabilitätsprogramm zeigt, dass sich die wachstumsfreundliche Konsolidierungspolitik der unionsgeführten Koalitionen auszahlt.

Quelle: Presseportal

Dumm nur, dass die Wachstumsraten alle drei Monate deutlich nach unten korrigiert werden müssen. Zuletzt ist die Prognose binnen kurzer Zeit mal eben auf 0,5 Prozent halbiert worden. Von einem wachstumsfreundlichen Stabilitätsprogramm kann da doch keine Rede sein. Vor allem nicht für Deutschlands Nachbarländer, die von der Konjunktur der größten europäischen Volkswirtschaft abhängig sind. Aber für diejenigen, die Europa gern als Antwort formulieren, spielt Europa beim Geschäft im Handel dann doch keine Rolle.

Gescheiterter Weg

Deutschland zuerst, lautet das Motto. In der Wirtschaftspolitik ist der nationale Egoismus, der sonst immer beklagt wird, längst Realität. Deutschland hat wie kein anderes Land von der Währungsunion profitiert und sein Modell des Lohndumpings zulasten der anderen Mitgliedsstaaten fest etabliert. Dass das nicht spurlos an den europäischen Partnern vorbeigeht, sollte eigentlich klar sein. Länder wie Frankreich reagieren unter Hollande und Macron mit Nachahmung des deutschen Modells und ernten einen großen Protest.

In Großbritannien hat die Austeritätspolitik schon viel länger Tradition. Von Thatcher bis Tony Blair, der 1999 mit dem deutschen Kanzler Schröder gemeinsame Sache machte (Schröder-Blair-Papier), übrigens direkt vor einer Europawahl kam das neoliberale Programm und die Erfindung einer Neuen Mitte in die Öffentlichkeit. Ein Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten sollte es werden (Europe: The Third Way). Doch wo sind Europas Sozialdemokraten heute gelandet? Fast in der Bedeutungslosigkeit weil sie eben damals falsch abgebogen sind.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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