Ins Gruselkabinett geschaut

Geschrieben von: am 20. Sep 2018 um 7:59

Agenda 2010 entwickelt, Wahl verloren, Bundespräsident geworden. Auch eine skandalträchtige Beförderung. Rabenspiegel / Pixabay

Die Aufregung um die Beförderung von Versagern ist wohlfeil, da so etwas ständig passiert. Wahlverlierer und glühende Agenda-Politiker in der SPD werden schließlich auch nicht zum Teufel gejagt, sondern zu Ministern, Fraktionsvorsitzenden oder gar Bundespräsidenten ernannt, wie die Satire-Seite Der Postillon sehr treffend erkannt hat.

Was passiert denn gerade so in der Politik? Maaßen wird versetzt? Nein. Das dauert noch, wie Seehofer klarstellte. Erst muss noch ein SPD-Staatssekretär seinen Posten räumen und in Rente gehen, mit 55, vermutlich abschlagsfrei. Wichtige Entscheidungen werden derweil im Kabinett getroffen. Das tagt bekanntlich immer mittwochs und hat wieder einige Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht, die zu denken geben.

Da wäre als erstes das sogenannte „Gute-Kita-Gesetz„, welches den Bundesländern beim Ausbau von Kindertagesstätten helfen soll. Die Bundesregierung stellt 5,5 Milliarden Euro bereit. Viel Geld, könnte man denken. Es ist im Grunde aber nur das, was unter den Bedingungen der schwarz/roten Haushaltsnull offiziell vertretbar ist. Mehr nicht. Das Geld muss dann auch bis 2022 reichen. Entscheidend ist eine Regelung, die schön klingt, im Kern aber auf Beliebigkeit abzielt.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Maßnahmen der Bundesländer gefördert werden, die genau an landesspezifische Bedarfe anknüpfen. Denn jedes Bundesland hat eine andere Kitalandschaft. Der Bund schließt mit allen Ländern daher individuelle Vereinbarungen ab. Jedes Bundesland kann selbst auswählen, welche Bereiche es fördern will.

Im Klartext heißt das, dass die Mittel auch für völlig andere Dinge ausgegeben werden könnten, selbst wenn von einigen Handlungsfeldern die Rede ist. Politik nach Kassenlage eben. In Niedersachsen gibt es zum Beispiel seit dem 1.8. die Gebührenfreiheit in der Kita. Dieser Prozess wird begleitet vom anhaltenden Streit zwischen Land und Kommunen über die Finanzierungsdetails, die, Sie ahnen es schon, von der deutschen Krankheit „Haushaltsdisziplin“ bestimmt werden. Statt für die Verbesserung der frühkindlichen Bildung zu sorgen, könnte das Geld vom Bund auch zur Deckung der entstandenen Kosten im Landeshaushalt verwendet werden, damit man sich weiterhin über schwarze oder rote Nullen freuen kann.

Der Niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) rühmt sich jedenfalls dafür, nun endlich auch Altschulden abbauen zu können. Das ist, ja man muss es leider so sagen, vollkommen bescheuert. Warum? Weil die privaten Haushalte und Unternehmen in ganz Deutschland Jahr für Jahr versuchen rund 250 Milliarden Euro „neu“ zu sparen. Sie bauen also Vermögen auf, das nur existieren kann, wenn es dazu eine spiegelbildliche Schuldenposition gibt. Das weiß eigentlich jeder, der sich schon einmal mit Volkswirtschaft beschäftigt hat. Folglich können nicht alle gleichzeitig sparen, doch deutsche Finanzminister, egal welcher Couleur, tun so, als ginge es doch irgendwie.

Wider die Logik

Dabei richten sie enorm viel Schaden an, wie der fortlaufende Zerfall der Infrastruktur zeigt. Die Substanz bröckelt schneller dahin, als die vergleichsweise mickrigen Investitionen zu retten vermögen. Der Investitionsbedarf bei Schulen allein beträgt schon rund 48 Milliarden Euro, bei den Kitas fehlen 7,6 Milliarden Euro, macht zusammen 55,6 Milliarden Euro. Im Vorjahr waren es 37,4 Milliarden Euro. Da ist enorm viel Tempo drin. Die Mittel aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ sind daher nicht mehr als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.

Es ist die Logik, die konsequent missachtet wird. Wenn nämlich klar ist, dass die privaten Haushalte und die Unternehmen 250 Milliarden Euro pro Jahr neu ersparen, muss es jemanden geben, der in gleicher Höhe die entsprechenden Schulden macht. Gäbe es ihn nicht, bräche die Wirtschaft unweigerlich zusammen. Doch wer ist der Schuldenmacher, wenn es der deutsche Staat partout nicht sein will. Richtig. Das Ausland. Im Ausland sind die Unternehmen, die mal Schuldner waren, aber inzwischen auch zu Netto-Sparern geworden. Das ist ein globales Phänomen und ein zunehmendes Dilemma auch für jene Staaten, die wie Deutschland am Rockzipfel der schwäbischen Hausfrau hängen.

Davon auszugehen, dass das Ausland auch weiterhin die Schulden für Deutschland machen wird, ist naiv. Die deutschen Finanzminister können somit nicht aus diesen Zusammenhängen entkommen, ohne das gesamte System zum Einsturz zu bringen. Staatsschulden abzubauen ist der völlig falsche Weg, ja sogar ein Brandbeschleuniger für die nächste große Krise. Schuldentilgung in der jetzigen Situation ist fatal und das nicht nur, weil es mit Blick auf eine abstrakte Saldenmechanik unlogisch ist, sondern weil die Folgen für jeden sichtbar und spürbar geworden sind. Was sollen denn künftige Generationen mit einer schwarzen Null auch anfangen, wenn es dafür keine Schulen mehr gibt, in denen man Mathematik lernen kann?

Die schwarze Null nützt niemanden, am wenigsten den künftigen Generationen. Der Ökonom Dirk Ehnts fragt hier zurecht: „Warum gibt es bei Staatsschulden EU-Obergrenzen, nicht aber bei der Arbeitslosenquote?“ Er wirbt für eine aktive Beschäftigungspolitik, die ganz simpel auf dem Ansatz des Geldausgebens beruht. Der Staat kann seine Ausgaben erhöhen und er darf das auch. Alles was er dazu benötigt, ist die Abkehr vom bornierten Glaubensdogma, öffentliche Schulden seien schlecht. Sie sind es nicht, sondern nach der Logik wie auch noch deutlicher nach der Erfahrung zwingend erforderlich.

Andere Prioritäten

Diese Bundesregierung hat sich aber leider wieder dazu entschieden, andere Prioritäten zu setzen. Das Geld sitzt zum Beispiel bei der Versorgung von Staatssekretären locker. Der eine wird jetzt in den Ruhestand geschickt, damit ein anderer rund 22 Prozent mehr verdienen kann. Dieser andere, der noch Präsident einer Geheimdienstbehörde ist, hat wiederum einen Haushaltsansatz beantragt, der fast doppelt so hoch ist, wie noch vor ein paar Jahren und rund 7 Prozent höher als im vergangenen Jahr. Über diese Unverschämtheit steht im Brief der Andrea Nahles an die Mitglieder der SPD nichts. Mehr Mittel soll es auch für Verteidigung geben und die Rüstungsexporte werden, obwohl durch den Koalitionsvertrag eigentlich ausgeschlossen, wie eh und je genehmigt.

Dagegen wird der Regelsatz für Hartz IV-Empfänger um rund 1,9 Prozent erhöht. Die Mehrkosten für Bund und Kommunen werden dabei detailliert von den Medien aufgelistet, um die gewünschte Empörung zu erzielen. Die bleibt aber freilich aus, wenn gemeldet wird, dass nicht einmal 15 Prozent der 6- bis unter 15-Jährigen von Teilhabeleistungen des Bundes profitieren. Die Leistungen für benachteiligte Kinder und Jugendliche seien in ihrer Höhe unzureichend und in der bestehenden Form schlicht nicht geeignet, Kinderarmut zu bekämpfen, schreiben der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Deutsche Kinderschutzbund. Es wäre also angebracht, die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets, die seit Einführung noch nie erhöht wurden, entsprechend anzupassen.

Doch die Bundesregierung arbeitet lieber daran, das deutsche Modell der Schwarzen Null auf ganz Europa zu übertragen. Gleichzeitig werden Steuersubventionen für die Bauwirtschaft beschlossen, in der Hoffnung, dass dadurch mehr bezahlbarer Wohnraum entsteht. Eine Deckelung bei der anschließenden Festsetzung des Mietzinses sieht der Gesetzentwurf natürlich nicht vor. Wird schon klappen mit den günstigen Mieten. Wer ins Kabinett schaut, wird sicherlich noch mehr Grausamkeiten entdecken, die die Feststellung von Andrea Nahles an die Mitglieder der SPD eindrucksvoll widerlegen. „Die SPD ist in diese Regierung eingetreten, um das Leben der Menschen zu verbessern. Und das tun wir tagtäglich.“ Es ist genau anders herum. Mit dieser SPD-Führung wird das Land den Falschen überlassen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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