Der böse Populist mal wieder

Geschrieben von: am 15. Aug 2018 um 8:22

geralt / Pixabay

In Italien sei nicht nur eine Brücke eingestürzt, sondern die gesamte politische Kultur, heißt es im Morning Briefing des Handelsblatts. Warum? Weil der italienische Innenminister Matteo Salvini, der böse rechte Populist, die fehlende Wartung von Autobahnen, Schulen oder Eisenbahnstrecken in seinem Land ansprach und diesen Zustand auch mit der Sparpolitik Europas in Verbindung brachte. Damit lenke Salvini davon ab, so Autor Hans-Jürgen Jakobs, dass die jeweiligen italienischen Regierungen die marode Infrastruktur des Landes selbst zu verantworten hätten.

Das stimmt ja grundsätzlich, aber warum sollte es falsch sein, was Salvini behauptet?

Ist es etwa nicht so, dass ausgeglichene Haushalte und ein faktisches Neuverschuldungsverbot mittlerweile zu einem europäischen Fetisch geworden sind? Ist es etwa nicht so, dass Salvini überhaupt nur Minister werden konnte, weil Vorgängerregierungen die restriktiven europäischen Stabilitätskriterien einzuhalten versuchten und damit die Wähler vergraulten? Nein, eine perfide Stimmungsmache und politische Propaganda betreibe Salvini, meint auch Handelsblatt-Autorin Regina Krieger, wenn sie diesen Satz von Salvini zweimal liest:

„Außerdem sage ich als Minister und als italienischer Bürger, dass viele Schulen, Krankenhäuser, Eisenbahnstrecken, Flüsse und Autobahnen gewartet und instandgehalten werden müssen, doch oft sagt man uns, dass wir kein Geld ausgeben dürfen, weil es Einschränkungen von Seiten Europas gibt, das Defizit, das BIP, die Verschuldung und der Spread (der Risikoaufschlag für italienische Staatspapiere) – ich sage, dass beim nächsten Haushalt die Sicherheit der Italiener im Mittelpunkt stehen muss und das Recht auf Leben, Gesundheit und Arbeit, und dass dann erst die Einschränkungen der EU kommen.“

Jetzt lesen Sie doch bitte den Satz auch zweimal und fragen sich, wo denn hier perfide Stimmungsmache zu finden ist. Salvini kündigt an, mehr Geld ausgeben zu wollen, um offenbar das nachzuholen, was Vorgängerregierungen seiner Meinung nach und auch nach Meinung des Handelsblatts unterlassen haben. Doch wie er das macht, passt den deutschen Leitartiklern wegen der aufgeworfenen Schuldfrage nicht. Dabei stellen auch sie fest, dass die Infrastruktur marode ist, die notwendigen Investitionen also fehlten. Doch was fordern jetzt die Handelsblatt-Kommentatoren? Mehr Investitionen? Eine Lockerung des Neuverschuldungsverbots, damit die „Populisten Koalition“ Infrastrukturprojekte in Angriff nehmen kann? Natürlich nicht. Über die Regeln gibt es keine Diskussion, die haben die anderen stets einzuhalten.

Sanierungsstau in Deutschland

Eine marode Infrastruktur gibt es auch im Zuständigkeitsbereich des Musterschülers. Hier heißt das ganze euphemistisch „Sanierungsstau“, um zu suggerieren, dass sich dieser zeitnah schon irgendwie auflösen ließe, wie ein Verkehrsstau auf der Autobahn. Doch schaut man sich beispielsweise den Zustand der Brücken an, gilt die Formel: „Die Brücken verfallen schneller, als sie wieder instand gesetzt werden“. Von einer Gefahr für Leib und Leben möchte trotzdem keiner sprechen, vermutlich weil das böse populistisch ist, bis auch hierzulande das erste Bauwerk in sich zusammenbricht.

Baufällig sind auch viele Schulen, in denen die Ingenieure von morgen zunächst das Einmaleins lernen sollen. Auf rund 48 Milliarden Euro hat die Förderbank KfW den „Investitionsstau“ in diesem Bereich ermittelt. Dieser Berg lasse sich, so der Bericht, kaum abtragen. Ist die KfW jetzt populistisch oder derjenige, der Schuldenbremsen sowie schwarze/rote Nullen ablehnt? Es gibt keine Bereitschaft zur rationalen Diskussion. Daher werden lieber Feindbilder wie der böse Populist erschaffen. Das ist leichter. Denn mit Feinden diskutiert man nicht. Auf diese Weise werden aber keine Krisen gelöst, sondern Probleme in steter wie unverantwortlicher Regelmäßigkeit verschoben.

Umdenken notwendig

Notwendig ist ein Umdenken und die Einsicht, dass die europäischen Verträge, die sich mit Stabilitätskriterien beschäftigen, im Grundsatz falsch sind. Diejenigen, die auf die Einhaltung der Verträge pochen, fragen in der Regel aber nie danach, ob es stimmt, was in den Verträgen steht. Lieber lassen sie die Infrastruktur verlottern oder suchen nach alternativen Kürzungsmöglichkeiten, um den ausgeglichenen Haushalt zu feiern. Der Lehrmeister Deutschland verlangt die Einhaltung der Regeln. Maastricht ist heilig, wobei ganz stimmt das ja nicht. Die falschen Regeln haben immer nur für die anderen zu gelten, nie für einen selbst. So ist es zumindest beim Exportüberschuss.

Da gibt es die Regel, dass ein Leistungsbilanzüberschuss von 6 Prozent stabilitätsgefährdend ist und zwar genauso stabilitätsgefährdend wie auf der anderen Seite ein entsprechendes Leistungsbilanzdefizit von vier Prozent. Deutschland hat also schon innerhalb der falschen Regeln einen Vorteil zugesprochen bekommen. Nun liegt der Exportüberschuss aber immer noch bei 7,5 Prozent. Doch die deutsche Seite sieht darin weiterhin kein Problem, da man angeblich keinen Einfluss darauf habe, was umgekehrt für die Defizitländer freilich nicht gilt. Ihnen wird ständig ein Anpassungsprogramm empfohlen oder auferlegt. Auf diese Ungleichbehandlung hat der böse Populist Salvini eigentlich nur hingewiesen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Lutz Hausstein  August 15, 2018

    Ich möchte den Schwerpunkt der Betrachtung dieses Unglücks ein wenig anders ausrichten.

    Laut Tagesguck hat eine private Betreibergesellschaft die vollständige Hoheit über diese Brücke (sowie sicherlich auch den Rest dieser Autobahn). Und die Informationen legen nahe, dass diese Gesellschaft vollverantwortlich für die Instandhaltung all dieser Infrastruktur ist. Damit wäre also in diesem Fall nicht so sehr die (erzwungene) staatliche Austeritätspolitik Ursache der Katastrophe, sondern das generelle Konstrukt der Privatisierung von Infrastruktur.

    https://www.tagesschau.de/ausland/brueckeneinsturz-genua-109.html

    Und es ist ja nunmal kein Gehemnis, dass private Unternehmen generell dem Profitdenken, ja sogar dem Profitzwang unterliegen. Von daher ist es auch keine Überraschung, dass sie mit allen erdenklichen Mitteln ihren Profit zu steigern versuchen – koste es, was es wolle. „Kollateralschäden“ werden dabei billigend in Kauf genommen.

    Ich denke, deutlicher kann gar nicht zum Ausdruck kommen, dass kritische Infrastruktur sowie jegliche Daseinsvorsorge nicht in private Hände gehören, sondern generell eine öffentliche Aufgabe sein müssen. Dass dann – Deine obigen Gedankengänge aufgreifend – die öffentliche Hand diese Aufgaben im Sinne und im Interesse ihrer Bürger verantwortungsvoll wahrzunehmen hat, ist der folgende (häufig überlebensnotwendige) Aspekt dieses Themas.

    • André Tautenhahn  August 15, 2018

      Lieber Lutz,

      da hast Du recht. Leser B.E. hat mich auch darauf aufmerksam gemacht. Hier die Mail mit Antwort von mir.

      Leser B.E. schreibt:

      Hallo Herr Tautenhahn,

      eine Frage sei zu Ihrem im Betreff genannten Beitrag gestattet: Ein Großteil der italienischen Autobahnen ist privatisiert. Italien ist diesbezgl. ein Vorbild in Sachen Public Private Partnership. Wieso eigentlich soll der Staat Investitionen einbringen, wo ihm das Anlagevermögen gar nicht gehört? Hier muss man doch mal klar sagen, wo es entlang gehen soll. Vor Jahren befuhr ich die Autobahn um Neapel herum. Von einer Straße im eigentlichen Sinne konnte da keine Rede mehr sein, Genua ist kein Einzelfall, aber ein schönes warnendes Beispiel für weitere geplante Privatisierungen in Deutschland.

      Mit freundlichen Grüßen

      P.S. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass ausgerechnet die Brücke in Genua sich im öffentlichen Eigentum befindet.

      Antwort André Tautenhahn:

      Hallo Herr E.,

      Sie haben recht mit Ihrem Hinweis auf die Privatisierung. Den Aspekt hatte ich jetzt nicht berücksichtigt. Das widerspricht aber nicht der Argumentation. Die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur wird ja gerade von den schwarzen und roten Haushaltsnullen als eine vernünftige Möglichkeit betrachtet, um die heiligen Regeln der Schuldenbremse einzuhalten. Den Südländern wird sogar unter wirtschaftlichen Druck der Ausverkauf ihrer Infrastruktur aufgezwungen.

      Insofern hätte man den Kommentatoren des Handelsblatts auch die Frage stellen können, was Italien in der Vergangenheit eigentlich falsch gemacht hat und ob man statt einer Privatisierung von Verkehrswegen, wie das hierzulande ebenfalls angestrebt wird, nun doch lieber die ausschließlich öffentliche Finanzierung vorziehen sollte, was aber wiederum bedeutet, deutlich mehr Haushaltsmittel für Erhalt und Ausbau bereitzustellen. Möglicherweise hätten dann die Handelsblatt-Kommentatoren aber erschrocken festgestellt, dass auch sie nichts weiter als böse Populisten sind. ;-)

      LG

  2. Hartmut Schwarz  August 15, 2018

    Der Totschlagkeulendiffarmierung möchte sich kaum jemand aussetzen, dabei weiß ich genau, dass ich jetzt auf dem richtigen ! Pfad unterwegs bin.
    Bauwerke sind auch dem Zerfall(s)preisgegeben und bis zur Schuldzuweisung kann nur spekuliert werden.
    Nach der „Globalisierung“ allerdings, legte Shareholder well you auch den Grundstein für die, bei uns neue marktkonforme, kapitalistische Ökonomie, der sich die Politik unterortnete und es bis heute Demokratie nennt, parlamentarische Demokratie ….und damit PPP’s, heute ÖPP’s, ihren Aufgaben gerecht werden können, braucht es den Zerfall der Republik, auch krampfhafte Festhalten an der RotSchwarzeNull genannt.
    Mit der Privatisierung des Trinkwassers, habe ich meine letzte RoteLinie festgemacht.
    Der Brückeneinsturz als Mahnung einer gemachten €Instabilität hat auch zu Tod und Leid geführt.
    Dieses, oder ein ähnliches Zenario könnte sich auch bei uns abspielen, finanzpolitische Spekuliationsdesaster als Vorzeigeprojekte bräuchten gar nicht erst geplant werden.

  3. Jörg Wiedmann  August 17, 2018

    Unser neuer Finanzminister hat ja schon klar gemacht das sich in Sachen Verschuldung nichts ändern wird. Statt „schwarzer Null (Schäuble) jetzt eben „rote Null“ (Scholz). Dazu hat er sich ja auch den richtigen Berater von Goldman Sachs ins Ministerium geholt. Scholz sollte vielleicht mal bei Heiner Flassbeck nachfragen welche Möglichkeiten es sonst noch gibt, aber Herr Flassbeck ist ja inzwischen bei der SPD quasi unten durch.
    So lange sich an der neoliberalen Doktrin der GroKo -besser KleinKo- nichts ändert wird es so weitergehen wie gehabt. Traurig aber wahr. Der ganze „Privatisierungswahn“ besser -Ausverkauf des Volksvermögnes- müsste dringend gestoppt werden, was aber von den Parteien bzw. Personen die jetzt am Hebel sitzen auf gar keinen Fall zu erwarten ist. Es wäre in meinen Augen sogar dringend angebracht das Rad in bestimmten Bereichen zurückzudrehen und manche Privatisierung rückgänig zu machen.
    z.B. Das Gesundheitswesen -incl. Pflege- gehört nicht in die Hand von „Profitgeiern“ die zu Lasten der Patienten einsparen wo nur möglich nur um gigantische Renditen zu erzielen.
    Das gilt auch für die Rente wo Rurüp oder Riester lediglich die Versicherungskonzerne reich gemacht haben.
    Aber solange der dumme Michel sein Kreuzchen brav bei den Parteien macht die lediglich als Erfüllungsgehilfen der Konzerne oder NGOs zu betrachten sind wird sich so schnell nichts ändern.
    Die CDUCSUSPDGrüneFDP Einheitspartei hat abgewirtschaftet und die „Alternative“ ist bei weitem keine sondern in diesem Punkt noch eine Stufe schlimmer.
    Man kann nur neidisch nach England schauen wo Labour tatsächlich für Arbeiter steht und mit Jeremy Corbyn wirklich ein glaubwürdiger Mann an der Parteispitze steht.
    Bleibt zu hoffen das #aufstehen wirklich eine reelle Chance bietet.