Grenzenlose Dunkelheit im Kopf

Geschrieben von: am 14. Sep 2015 um 17:14

„Grenzen überwinden“, so lautet das Motto zum diesjährigen Tag der Deutschen Einheit.

Deutschland hat am Wochenende wieder Grenzkontrollen eingeführt. Angeblich will die Bundesregierung damit den Druck auf die EU-Partner erhöhen, die sich einer festen Quotenregelung bei der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern. In Wirklichkeit aber zeigt die Anordnung durch Innenminister Thomas de Maizière die politische Überforderung und Planlosigkeit der Bundesregierung, die am 3. Oktober auch noch den Tag der Deutschen Einheit unter dem Motto „Grenzen überwinden“ feiert.

Damals war Wahlkampf

Lange Zeit dachte man, auf die Folgen des Bürgerkriegs in Syrien nicht weiter Rücksicht nehmen zu müssen und schaute dabei zu, wie Millionen von Menschen in den Libanon, die Türkei, nach Jordanien und in den Irak flüchteten. Und während dort riesige Zeltstädte entstanden, stritt der Westen im September 2013 auf dem G20-Gipfel in St. Petersburg um die Frage, Angriff oder Nicht-Angriff. Der amerikanische Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama versuchte eine Allianz der Willigen zu schmieden, um auf den Einsatz von Giftgas, für den er den syrischen Machthaber Assad verantwortlich machte, militärisch zu antworten.

Die Bundesregierung zögerte. Merkel befand sich im Wahlkampf und wollte keinesfalls wie eine Kriegskanzlerin vor der deutschen Öffentlichkeit erscheinen, lehnte also erst eine Unterschrift unter das Dokument ab und gab sie einen Tag später dann doch. Taktische Spielchen, die zu einem peinlichen Ergebnis führten, bestimmten das Bild vor zwei Jahren. Das Schicksal von Flüchtlingen spielte dabei nur eine Nebenrolle. Sie waren noch weit weg in den Auffanglagern der Nachbarländer. Der Westen glaubte, mit ein paar Hilfsgeldern die Menschen in der Region und fern der europäischen Grenzen halten zu können.

Regeln von der Realität außer Kraft gesetzt

Man schaute auch dabei zu, wie Tausende von Menschen aus Afrika die Flucht über das Mittelmeer wagten und dabei ums Leben kamen. Schafften dennoch einige überfüllte Boote die Überfahrt, betrachtete die Bundesregierung die Gestrandeten als Angelegenheit jener Länder, in denen die Flüchtlinge europäischen Boden betraten. Die Dublin Regelungen verhinderten oder besser gesagt schützten die Bundesregierung vor einer ernsthaften Diskussion. Schließlich sind Regeln dazu da, befolgt zu werden.

Nun werden diese Regeln von der Realität außer Kraft gesetzt und die Bundesregierung antwortet mit einem beispiellosen wie planlosen Hin und Her, nachdem sie auch von der eigenen Bevölkerung dazu gedrängt worden war. Angela Merkel, die lange Zeit keine Meinung zu dem Thema hatte, sich wie üblich verschanzte und lediglich ihren Standardsatz verkündete, Verfolgte ja, Wirtschaftsflüchtlinge nein, musste aus der sicheren Deckung kommen. Erst ließ sie die Grenzen unter Umgehung des Dublin III-Systems öffnen, nun macht sie sie unter Umgehung des Schengen-Abkommens wieder dicht.

Weiteres Chaos wird organisiert

Vorübergehend, wie es heißt und nicht wirklich dicht, wie Bundesmerkelesprecher Seibert heute über Twitter erklärt. Doch mehr als ein weiteres Chaos organisiert die Bundesregierung damit nicht. Denn die Flüchtlinge werden sich wohl kaum davon abhalten lassen, weiter nach Deutschland zu kommen, egal ob Züge fahren oder nicht und egal, ob hunderte Bundespolizisten oder das Militär in Österreich die Grenzen kontrollieren oder nicht. Die Ablehnungsfront der osteuropäischen Staaten wird die Kanzlerin damit auch nicht brechen können, das Leid der Flüchtlinge aber mit Sicherheit erhöhen.

Das heutige Treffen der EU Innenminister lässt sich vom „Wir schaffen das schon“-Gerede der Kanzlerin kaum beeindrucken. Hier zählen Fakten und eigene Interessen. Deutschland hat das ja selbst immer wieder vorgelebt. Warum sollten Polen und Tschechen auch laut „hier“ schreien, wenn die Flüchtlinge doch nach Deutschland oder Skandinavien wollen? Warum sollten sie einer festen Quotenregelung zustimmen, obwohl bereits jetzt absehbar ist, dass sich noch mehr Menschen auf den Weg nach Europa machen werden? Und warum sollten die EU Partner einem Deutschland helfen, das die Regeln kompromisslos predigt, sich aber selbst nur bei Bedarf daran hält?

Die europäische Idee ist tot

Die beschlossenen Grenzkontrollen senden ein verheerendes Signal. Ein Dominoeffekt baut sich auf. Nach und nach setzen auch die anderen europäischen Staaten das Schengen-Abkommen, einen Kern der friedlichen und offenen Nachkriegsordnung in Europa, außer Kraft. Das ist das Verdienst der Bundesregierung, die nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll und in ihrer Planlosigkeit nun wieder zurück auf Anfang will. Nur geht das jetzt nicht mehr. Die europäische Idee ist tot und die Kontrolle längst verloren.

Deutschland muss akzeptieren, dass es jetzt die Quittung für eine verfehlte Außen- und Europapolitik serviert bekommt. Die innere Abschottung durch Dublin III verkehrt sich nun ins Gegenteil und offenbart die Risse quer durch die EU. Darüber hinaus spielt der hilflose Versuch die Grenzen zu schließen den rechten Rattenfängern in die Karten. Während die bayerische CSU ein unbeschwertes Oktoberfest feiern will, freut sich die AfD über die unverhoffte Wahlkampfhilfe. Sie sieht in den aktuellen Ereignissen eine Bestätigung ihrer radikalen Ausgrenzungspolitik.

Es herrscht Dunkelheit im Kopf

Und so hat sich unmittelbar vor dem 25. Tag der Deutschen Einheit eine bizarre Wirklichkeit entwickelt. An den europäischen Außengrenzen wachsen Zäune mit NATO-Stacheldraht in die Höhe, die Bundeswehr jagt Schleuser auf dem Mittelmeer und an den Binnengrenzen ist warten am Schlagbaum wieder angesagt. Dennoch trifft sich am 3. Oktober die politische Elite in Frankfurt a.M. zum Bürgerfest. Mit dabei der Bundespräsident, der kürzlich die deutsche Hilfsbereitschaft lobte und zu einer „ernsthaften Hochstimmung“ stilisierte, vergleichbar mit dem Sommermärchen von 2006.

„Grenzen überwinden“, lautet das Motto dann. Es müsste aber heißen: Grenzenlose Dunkelheit im Kopf.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. böses Schaf  September 14, 2015

    jeder, auch Albert Einstein und alle anderen Empfänger dieser Auszeichnung, sofern sie bereits tot sind, würden sich im Grabe herum drehen, mit dem Wissen, was hier zur Zeit geschieht.

    Den Karls,- Nobel usw. Preis, kann sich ein jeder getrost als Ersatz in WC hängen, sollte einmal die Rolle zu Ende sein….

    Wir werden verheizt, verhauen und verarsch–t – wieso lassen wir uns das eigentlich gefallen? Ist der Stolz der Deutschen inzwischen derart weggezüchtet und zertrümmert worden?

  2. humorlos  September 15, 2015

    Die europäische Idee ist tot? Na sowas passiert eben wenn man eine gemeinsame Währung, welche normalerweise der Abschluß einer Entwicklung ist, an den Anfang selbiger stellt.
    Europa ist ein geographischer Begriff und sonst nichts! Für über 70% der Staaten der europäischen Union bedeutet dieser lediglich eines: Geld aus Brüssel. Was will man auch anderes von jemandem erwarten, den man in diese Union geholt hat indem man mit Geldbündeln vor seiner Nase herumwedelte. Das ist keine europäische Idee sondern ganz einfach Söldnermentalität. Und die Loyalität eines Söldners gilt eben dem Geld und keiner Idee.

    Die Bemerkung über das warten am Schlagbaum der Binnengrenzen passt übrigens prima in den gerade herrschenden Jammerchor des Mainstreams: 20 km Stau auf der Autobahn nach Salzburg – der Untergang des Abendlandes! Da trifft selbst der Begriff paradox es nicht so ganz, wenn man bedenkt das man für einen Flug von Düsseldorf nach Wien schon 2 Stunden vor dem Start wegen der Sicherheitskontrollen am Flughafen sein muss.

  3. Arnold  September 15, 2015

    Es ist notwendig, dass auf die Missstände der Flüchtlingspolitik hingewiesen wird. Jedoch kommt es mir so vor als fehle an der ganzen Kritik immer ein wesentlicher Teil. So auch hier. Es wäre dringend nötig einmal konkret zu formulieren welche Politik jetzt konkret in Angriff genommen werden sollte. Sicher macht man sich damit Angreifbar. Jedoch denke ich dass es das wert ist, da die Kritik ohne konkrete Vorstellung wie es besser geht, die Menschen eher in einer Art verzweifeilter Stimmung hinterlässt. Ich halte dies für den besten Weg der NPD Stimmen und der Pegida Anhänger zuzuschieben. Hier mal einige Vorschläge. Wir haben es bei der Flüchtlingsproblematik mit mehreren Problemen zu tun:
    – Die Kriege in Afrika und Nahost. – Die Ausbeutung der armen Länder durch die reichen. – Die Versorgung der Flüchtlinge mit Unterkünften und Nahrung. – Die lebensgefährlichen Fluchtumstände – Die Akzeptanz der Flüchtlinge in den Aufnehmerländern. – Die Integration der Flüchtlinge in die Aufnehmerländer.
    Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit ich bin überzeugt es gibt noch mehr. Wichtig ist, dass man sich der Vielschichtigket des Problems bewusst ist.
    Die Kriege und die Ausbeutung der armen Länder sind langfristige Themen sie müssen zwar angegangen werden, aber das enthebt uns nicht die kurzfristigen Probleme zu lösen. Hier nun einige Vorschläge:
    – Die Menschen müssen wissen, dass wir uns auf die Aufnahme von wesentlich mehr Flüchtlingen einstellen müssen. Ein großer Teil dieser Flüchtlinge wird wieder zurückgehen wenn die langfristigen Probleme gelöst sind. Die Presse sollte aufhören uns vorzujammern wie schwierig es wird diese Flüchtlingsproblematik zu bewältigen. Dies macht das unvermeidliche noch schlimmer.
    – Besonders übel sind Schäubles Sparpläne. Da insbesondere Menschen die sozial abgehängt sind Angst vor Zuwanderung haben, wäre es gerade jetzt wichtig die Sozialausgaben beträchtlich zu erhöhen. Der Hartz IV Regelsatz, der MIndestlohn und die Renten müssten deutlich erhöht werden.
    -Das Geld für diese Maßnahmen könnten durch die Einführung von Vermögenssteuern und die Erhöhung des Spitzensteuersatzes kommen.
    – Es ist bekannt, dass viele Flüchtlinge kommen, weil in den zum Kriegsgebiet angrenzenden Gebieten die Infrastruktur schlecht ist. Hier sollten größere Geldmengen investiert werden.
    – Erhebliche Anstrengungen müssten in die vorübergehende Aufnahme von Flüchtlingen fließen. So könnten z.B. leerstehende Wohnungen zwangsvermietet werden.
    – Die Schließung der Grenzen beseitigt absolut kein Problem sondern schafft nur neue. Die Flüchtlinge kommen, bzw. sind da und müssen in jedem Fall versorgt werden. Offene Grenzen sorgen dafür, dass Flüchtlinge sich nicht verstecken müssen und der Staat einen Überblick über die Ströme behält.
    – Es müssen legale Transportwege für Flüchtlinge nach Europa geschaffen werden. Nur so kann das Schleußerwesen ausgetrocknet werden.
    Dies waren nur einige Beispiele, die den Kritiken an der herrschenden Politik angehängt werden könnten.