Vergraben wäre eine Lösung

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Im neoliberalen System gibt es keine Fehler. Demzufolge kann ein Patrick Döring, der unverständlicher Weise im Aufsichtsrat der Bahn sitzt, auch fordern, dass sich die im Urlaub befindlichen Mitarbeiter des Verkehrsunternehmens sofort zurückmelden sollen, um am Mainzer Hauptbahnhof ihren Dienst wieder aufzunehmen. Dort läuft nämlich aufgrund von Personalknappheit gar nichts mehr. Aber halt, Personalknappheit? Das gibt es im neoliberalen Denken nicht. Die Arbeit ist nur schlecht geplant oder verteilt, würde Döring wohl sagen.

Jedenfalls gebe es eine Betriebspflicht, so der FDP-Generalsekretär. Unternehmen und Mitarbeiter seien daher in der Pflicht. Das sagt einer, der erst einen Schaden verursacht, sich dann kackdreist verpisst und hinterher behauptet, nichts gehört und nichts gesehen zu haben. Als gelernter Klinkenputzer für Haustierversicherungen sorgte er sich nicht weiter um den Schaden des anderen. Sein Außenspiegel war ja heil geblieben. Davon hatte sich Döring nach Zeugenaussagen pflichtbewusst überzeugt, bevor er Unfallflucht beging.

Die dümmliche Reaktion von Döring ist nur allzu verständlich. Er ist Leistungsträger und FDP Politiker, der sich, wie ein Großteil der Medien nur um die Reisenden sorgt, die entweder durch Urlaubszeit und Krankheitsfälle oder durch Streiks kaum vertretbare Zumutungen in Kauf nehmen müssen. Wen interessiert schon Personalpolitik. Dabei könnte sich ein aufschlussreiches Bild ergeben. Siemens hat so viele Leute rausgeschmissen und kann jetzt keine Züge mehr rechtzeitig fertig bauen und die Bahn kann keine Züge mehr abfertigen, weil man so viele Fahrdienstleiter rausgeschmissen oder in den Ruhestand versetzt hat.

Warum das alles? Um hübsch auszusehen für die Leistungsträger, die meist bei Banken, Versicherungen oder in Beratungsbüros hocken und an den Vorschlägen zur Kostenreduktion wie auch an der Privatisierung verdienen. Deshalb gibt es Katastrophen wie bei der Berliner S-Bahn, die, wohlgemerkt in Friedenszeiten, jahrelang mit einem Notfahrplan operieren musste, weil Mehdorn und der Bundesregierung Rendite wichtiger waren als die technische Zuverlässigkeit eines Verkehrsmittels, auf das die Menschen in der Tat angewiesen sind.

Hübsch aussehen muss auch die Fassade. Deshalb werden Milliarden Euros nicht in Personal, Zuverlässigkeit oder breite Anbindung investiert, sondern in privilegierte Haltepunkte gepumpt, die dann sogar in der Erde verschwinden sollen. Vergraben? Das wäre auch für Mainz eine denkbare Lösung. Man würde vom Chaos nicht mehr viel sehen. Aber ob die Menschen es nun sehen oder nicht. Es ist egal. Sie wählen Leute wie Döring ja doch wieder in den Bundestag.

Quelle: Stuttmann Karikaturen

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Fehlendes Geld darf weiter verbuddelt werden

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Der Bahnaufsichtsrat hat dem Weiterbau von Stuttgart 21 zugestimmt, weil der nach Berechnungen des Bahnvorstandes 70 Millionen Euro günstiger wäre als ein Abbruch. Vollkommen richtige Entscheidung. Es ist ja nahezu ausgeschlossen, dass die bisher ausgerechneten Projektkosten von anfänglich 2,5 Milliarden über 4,5 Milliarden bis gegenwärtig 6,8 Milliarden Euro noch einmal steigen könnten.

Bleibt das Problem, wer die noch fehlenden 2,3 Milliarden Euro im Ländle ranschafft, damit diese sinnlos verbuddelt werden können. Keiner wills bezahlen. Die Landesregierung nicht, die Stadt nicht und die Bahn eigentlich auch nicht. Möglicherweise muss das ganze Projekt Hilfen beim ständigen Krisenmechanismus ESM beantragen. Fest steht nur, der Bahnhof wird gebaut, wie und mit welchem Geld ist offenbar nicht so entscheidend.

Schließlich dürfe nicht der Eindruck entstehen, als hätten sich die Kritiker und Demonstranten doch noch durchgesetzt. Nachher glauben auch andere, dass sich Proteste am Ende auszahlen.

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Oettinger auf halbmast? Er hat doch gesündigt

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Vor kurzem wollte EU-Kommissar Günther Oettinger die Flaggen von Schuldnerländern vor EU-Gebäuden auf halbmast setzen lassen. Das hätte zwar nur Symbolcharakter, aber auch einen hohen Abschreckungseffekt, meinte der CDU-Politiker via Bild-Zeitung. Mit den Zahlen muss man es schließlich so machen, wie Oettinger zu seiner Regierungszeit in Baden-Württemberg. Einfach nicht kommunizieren.

Auf Oettingers Wunsch hin sollen die Ergebnisse zur Berechnung von Stuttgart 21 unter der Decke gehalten worden sein, weil diese dem politischen Gegner und der Öffentlichkeit nur schwer hätten vermittelt werden können. Die Rede ist von Kosten zwischen mindestens 4,9 und wahrscheinlichen 6,5 Mrd. Euro. So genau wollte es der damalige Ministerpräsident Oettinger dann gar nicht mehr wissen und ordnete an, dass weitere Berechnungen zu unterbleiben hätten.

Das alles will der Spiegel erfahren haben. Weiter unten im Bericht heißt es in einer Anmerkung der Redaktion:

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Regierung Mappus habe die Berechnung verheimlicht. Tatsächlich war es aber die CDU-Regierung unter der Führung des Mappus-Vorgängers Günther Oettinger. Wir haben den Text entsprechend korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

In der Zeit als Oettinger Ministerpräsident war, hatte Mappus den Posten des CDU-Fraktionsvorsitzenden inne. Es ist schwer vorstellbar, dass der spätere Nachfolger Oettingers im Amt des Ministerpräsidenten, der seine Überzeugung für das Projekt S21 auch mit Gewalt durchsetzen ließ, keine Kenntnis von den Berechnungen der Beamten besaß.

Jedenfalls zeigt die Rechenpraxis unserer politischen Zahlenverdreher und Euroratgeber deutlich, dass einige es verdient hätten, persönlich auf halbmast gesetzt zu werden, um andere von einem ähnlichen Gebaren abzuschrecken. Ganz in Oettingers Sinne wäre das ja auch nur symbolisch gemeint.

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blogintern: Weniger Aktivität

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Aktuell habe ich für den Blog etwas weniger Zeit, weil ich beruflich eine neue Aufgabe übernommen habe, der logischerweise meine ganze Aufmerksamkeit gilt. Wann immer es geht, werde ich dennoch versuchen, in gewohnter Weise Kommentare abzugeben, wo es mir nötig erscheint. Dennoch erlaubt mir mein neuer Arbeitsrythmus das ein oder andere zu verfolgen, was vorher nicht möglich war. Zum Beispiel die morgendlichen Interviews im Deutschlandfunk. Vom heutigen Gespräch mit Heiner Geißler wurde tatsächlich ein Transkript angefertigt und ins Netz gestellt. Das sollten sie sich unbedingt durchlesen. Sie können sich das Interview natürlich auch anhören.

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Stuttgart 21: Klaus Stuttmanns Vorahnung oder das Geißler-Plagiat

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Quelle: Klaus Stuttmann

Diese Karikatur hat Klaus Stuttmann vor dem Beginn des Schlichtungstheaters am 6.10.2010 erstellt. Und es ist nun genauso gekommen. Unglaublich! Heiner Geißler schlägt allen Ernstes vor, den Fernverkehr über den Tiefbahnhof und den Nahverkehr über einen verkleinerten Kopfbahnhof laufen zu lassen.

Quelle: SWR

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Keine Schlichtung beim Stresstest

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Die Deutsche Bahn, die ihnen, mir, uns allen gehört, will herausgefunden haben, dass der von ihr geplante unterirdische Tiefbahnhof für viel, zu viel Steuergeld, leistungsfähiger sei, als sein bestehendes, hässliches Pendant an der Oberfläche, mit Namen Kopfbahnhof. Georg Schramm hat einmal gesagt, seit der Schlichtung um Stuttgart 21 wisse er nun, warum die Bahn den Kopfbahnhof so verrotten ließ. Das Auge fährt halt mit.

Jetzt geht es in die “schein”entscheidende Phase. Der Stresstest, den Heiner Geißler der Bahn zur Auflage machte, habe ein Ergebnis geliefert. Bestanden, alles laufe wie am Schnürchen, ließ man über zahlreiche Agenturen verbreiten. Der neue Bahnhof sei 30 Prozent leistungsfähiger als der bestehende Kopfbahnhof. Die baden-württembergische Landesregierung sieht es anders. Verlässliche Daten lägen noch gar nicht vor, hieß es aus dem grünen Verkehrsministerium, das einst von der schwarzen Tanja Gönner besetzt gehalten wurde.

Die Bahn kontert wiederum und behauptet, das Verkehrsministerium in einem Arbeitskreis stets zeitnah über die Ergebnisse und aktuellen Daten der Simulation informiert zu haben. Und weil die unterirdische Simulation wie auch immer erfolgreich gewesen sein soll, simulieren die politischen Befürworter des Projekts schon mal präventiv Wutanfälle in Richtung der Gegner.

„Sollte der Stresstest ergeben, dass der geplante Tiefbahnhof die während der Schlichtung von allen Seiten akzeptierte Leistungssteigerung erbringt, gibt es für die Grünen endgültig keinen Grund mehr, weiter auf den Barrikaden zu bleiben“, sagte er dem Tagesspiegel. „Es wäre eine grobe Missachtung des Schlichterspruchs, wenn die Grünen jetzt immer neue Hürden aufbauen – nur um ihren Wählern nicht eingestehen zu müssen, dass sie Erwartungen geweckt haben, die sie nicht erfüllen können“, sagte Gröhe. Der CDU-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, Peter Hauk, forderte Hermann auf, „seinen sinnlosen Widerstand sofort einzustellen“ .

Quelle: Tagesspiegel

Man fühlt sich in die Schlichtungsgespräche zurückversetzt. Vielleicht könnten sich Gegner und Befürworter darauf einigen, dass es einen Stresstest gegeben hat und entsprechende Ergebnisse, nein, Unterlagen, über deren Inhalt an dieser Stelle keine nähergehende oder für beide Seiten verfängliche Aussage getroffen wird, von der Bahn an das Verkehrsministerium übergeben, nein, gesandt wurden. Können beide Parteien diesem Satz zustimmen? Öhm…, Herr Geißler übernehmen sie, ein Schlichter wird benötigt.

Interessant wäre natürlich, mit welchem Fahrplan die Bahn gerechnet hat. In der Schlichtung hieß es ja immer, den könne man gar nicht präsentieren, weil die zukünftige Verkehrsentwicklung bis zur Fertigstellung des Projekts niemand abschätzen könne. Die Steigerung der Leistungsfähigkeit ergäbe sich vielmehr daraus, dass die Verfahren zur Realisierung des Projekts erfolgreich abgeschlossen wurden, sei es vor Gericht, bei der Planfeststellung oder bei der Erteilung von erforderlichen Genehmigungen. Das war für mich das gönnerhafte Kefer-Argument, das zu verkünden, sich der Bahnvorstand in die Niederungen einer öffentlichen Diskussionsrunde begeben hat.

Unter welchen Bedingungen nun geheim getestet wurde, ist nicht bekannt. Die Bahn deutet das Ergebnis nach ihren Vorstellungen. Wahrscheinlich wird die Steigerung der Leistungsfähigkeit schon dadurch erhöht, dass unter der Erde defekte Klimaanlagen in ICE-Zügen als Ausfallgröße ausgeschlossen werden können.

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An einem Wendepunkt

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Wenn man die Welt im Jahr 2011 beschreiben müsste, käme man wohl zu dem Ergebnis, sie als etwas zu bezeichnen, das unkontrollierbar geworden ist. Möglicherweise zeigt gerade die atomare Katastrophe in Japan, die alle Menschen live mitverfolgen können, wie absurd das Gerede über eine Zurückeroberung von Kontrolle ist, die für das Selbstverständnis der Gesellschaften westlicher Prägung bisher grundlegend war. Seit Tagen hört man, dass sich die Lage in Fukushima verschlimmere oder weiter zuspitze. Am irritierendsten ist die Aussage, dass etwas noch mehr außer Kontrolle geraten könne als bislang schon geschehen. Dabei verbirgt sich in dieser Form der sprachlichen Vermittlung immer noch die Hoffnung oder sollte man sagen, der Glaube an die Beherrschung von Prozessen, die sich praktisch nicht mehr aufhalten lassen.

Es gibt keinen Knopf, den man drücken, oder eine vom Verstand geleitete Gruppe von Menschen, die dafür sorgen könnte, einen im Gang befindlichen nuklearen Zerfallsprozess aufzuhalten. Bisher wurde das auch nur indirekt getan, in dem man die Unterbrechung der Kettenreaktion durch automatische Abschaltung der Reaktoren im Zuge des Erdbebens durch Kühlung der Brennstäbe erreichte. Diese Kühlsysteme sind nun ausgefallen und die durch den Zerfallsprozess entstehende Wärme wird nicht mehr sicher aus den Druckbehältern abgeführt. In diesen wird es somit immer heißer. Eine Kernschmelze, Feuer oder Explosionen sind die Folge.

Nun kann man da aber nicht einfach hingehen, die Tür des Behälters aufmachen oder, falls durch eine der oben genannten Szenarien bereits geöffnet, drüber fliegen, um von außen mit Wasser den Reaktorinhalt zu kühlen. Die radioaktive Strahlung macht solchen Verzweiflungsaktionen einen Strich durch die Rechnung. In Wahrheit ist man dazu verdammt, bei der Zerstörung der Anlage und der Verseuchung der Umgebung tatenlos zuzusehen. Alternativlos sozusagen. Doch gerade in dieser ausweglosen Situation tut man so, als könne man noch etwas retten oder gar die Kontrolle zurückgewinnen. Das ist eine Selbsttäuschung, die aber notwendig ist, weil das bisherige System der rücksichtslosen Verwertung menschlicher Abeitskraft und aller Lebensbereiche nichts mehr verachtet als die Tatenlosigkeit und das Versagen vor Ort.

Da regt sich zum Beispiel ein ARD-Reporter im noch sicheren Tokio darüber auf, dass den Kraftwerksarbeitern entgangen war, dass die Reaktorkerne buchstäblich austrockneten, weil die Pumpen nicht funktionierten oder dass es zu einem Brand im Lagerbereich für alte Brennstäbe kam. Gern beschreibt man das dann als Zeichen für Inkompetenz oder chaotische Zustände, die dem Ordnungsdenken zutiefst widersprechen.

Den Untergang hat man geordnet und pflichtbewusst zu gestalten. Da kennt sich der Deutsche besonders gut aus. Bei uns hätte es das wohl nicht gegeben?

Sehr richtig. Bei uns werden Vorfälle in den sichersten Atomkraftwerken der Welt lieber vertuscht. Die oberste Atomaufseherin des Landes Baden-Württemberg, Umwelt- und Bahnhoftieferlegungsministerin Tanja Gönner ist diesbezüglich in arge Erklärungsnot geraten. Aber das ist nur ein weiteres Symptom für den Zerfall einer demokratischen Fassade, deren Einbruch spätestens mit dem Finanzmarktdesaster deutlich sichtbar geworden ist.

Die Finanzkrise ist ebenfalls außer Kontrolle, weil den gewählten Volksvertretern die Vertretung mächtiger Partikularinteressen näher liegt, als die Interessen der Mehrheit der Gesellschaft, die weder Anteile einer Bank, ein Hotel noch ein Atomkraftwerk besitzen.

Die teure Rettung von Banken und ganzen Staaten sowie die gleichzeitige Beschenkung einer wohlhabenden Klientel geraten auch außer Kontrolle, weil es nichts mehr gibt, das man von den ärmeren, den Verlieren und der gleichfalls zerfallenden Mittelschicht holen kann, um es nach oben umzuverteilen. Die Frage ist halt, ob die Spaltung der Gesellschaft in viel arm und weniger reich auch zu einer Überhitzung und zu einem vermehrten Druckaufbau führen wird, an dessen Ende zwangsläufig die Explosion steht.

Umstürze und Veränderungen sind nicht neu, sie hat es immer und überall auf der Welt gegeben. Gerade konnte man das und man kann es noch immer im arabischen Raum beobachten. Neu aber ist die Gleichzeitigkeit, mit der Veränderungen auf der ganzen Welt wahrgenommen werden. Als die Titanic im Jahr 1912 unterging, war das ein Schock für die bürgerliche Gesellschaft, nicht aber für die Chinesen, Afrikaner oder Araber. Die bekamen davon nämlich gar nix mit.

Als die Titanic sank, endete das long century, das lange 19. Jahrhundert, das bürgerliche Jahrhundert, in dem für den Menschen in Europa und Amerika alles möglich, machbar und vor allem beherrschbar war. Der Untergang der Titanic war eine Zäsur, die das bürgerliche Selbstverständnis der technischen Überlegenheit tief erschütterte. Später in den Schützengräben des ersten Weltkrieges wurden die Reste dann über alle gesellschaftlichen Gruppen und Nationalitäten hinweg regelrecht niedergemäht.

Der technische Fortschritt wie das Bestreben nach Perfektion sind als Fragmente der bürgerlichen Gesellschaft erhalten geblieben und zum Exportschlager geworden. Ohne technische Entwicklungen und Fortschritt kein wirtschaftliches Wachstum. Der zum Teil unerschütterliche Glaube an die Technik ist immer wieder spürbar und das Entsetzen über deren Versagen groß. Wenn nun in dem Hochtechnologieland Japan die angeblich so saubere Kerntechnologie versagt, so ist jetzt die gesamte Welt Zeuge und gleichermaßen betroffen wie auch geschockt.

Georg Schramm trat am Montag in Stuttgart bei den Gegnern des Bahnhofprojektes Stuttgart 21 auf und erinnerte mit Blick auf den 11. März 2011, dem Tag des Erdbebens in Japan, an den Historiker Eric Hobsbawm und dessen Einteilung der Epochen in long (19. Jahrhundert) und short century (20. Jahrhundert).

Es gibt einen berühmten englischen Historiker, Eric Hobsbawm, der sagt, Jahrhunderte beginnen nicht mit dem ersten Januar auf dem Kalender, sondern mit einem Ereignis, in dem das ganze Jahrhundert bereits thematisiert ist. (…) Der Beginn des 20. Jahrhunderta war für Eric Hobsbawm der Untergang der Titanic. Der Untergang der Titanic ist dem selbem Grundmuster gefolgt wie die Katastrophe in Japan – menschliche technische Hybris, die nicht im Dienst der Menschheit stand! – Georg Schramm

Quelle: le bohémien

Die menschliche technische Hybris, die nicht im Dienst der Menscheit stand.

Einen Satz, den man sich merken sollte. Schramm spricht von einem Wendepunkt, einer Wegmarke, die stellvertretend für das 21. Jahrhundert stehen könnte. Er spricht auch über den Protest und Stéphane Hessel, jenem französisch-deutschen Schriftsteller und Mitbegründer der Menschenrechtscharta, der vor kurzem mit seinem Manifest „Empört Euch! (Indignez-vous !)“ die Menschen dazu aufrief, Widerstand zu leisten.

„Neues schaffen, heißt Widerstand leisten und Widerstand leisten, heißt Neues schaffen!“

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Die Bundesregierung sorgt sich um die Lage in Ägypten

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Die Bundeskanzlerin hat zusammen mit anderen europäischen Regierungschefs einen gemeinsamen Appell an die Adresse der ägyptischen Führung gerichtet. Darin heißt es:

„Wir beobachten mit größter Sorge, dass sich die Lage in Ägypten verschlechtert. Es muss den Ägyptern frei stehen, ihr Recht auf Versammlungsfreiheit auszuüben. Die Sicherheitskräfte müssen sie dabei schützen.

Quelle: Bundesregierung

Dabei hieß es zum Thema Demonstrationsfreiheit vom Regierungsmitglied Thomas de Maizière (CDU) kürzlich noch:

„Wenn tausende 13-jährige Schüler von ihren begüterten Eltern Krankschreibungen kriegen, um zu demonstrieren, dann ist das ein Missbrauch des Demonstrationsrechts.“

Quelle: Tagesspiegel

Aber das war ja bekanntlich ein anderer Film. Oder doch nicht? Albrecht Müller zieht auf den NachDenkSeiten einen brisanten Vergleich. „In der Dimension verschieden, in den Methoden auffallend ähnlich: Mubarak und Mappus“

Die Parallelen sind größer, als manche bei uns denken und verlautbaren. Anders als in den Klageliedern über den Mangel an Demokratie in Ägypten und dem spiegelbildlichen Schulterklopfen, was für tolle Demokraten wir hier sind, sieht die Realität aus: Wo wird denn hierzulande noch ernsthaft Rücksicht genommen auf den Willen des Volkes? Die Mehrheit möchte einen Mindestlohn. Die Mehrheit ist gegen die Rente mit 67. Die Mehrheit hätte es verdient, dass die Löhne steigen und nicht nur die Gewinner und die Vermögenseinkommen. Die Mehrheit möchte gerne, dass unsere Jugend sichere Arbeitsplätze und eine gute Ausbildung bekommt. Und dennoch setzen die Eliten seit über 20 Jahren auf eine Wirtschaftsentwicklung unter unseren Kapazitäten und auf eine Reservearmee an Arbeitslosen.

Nach dem Willen der Mehrheit geht es hierzulande über weite Strecken nicht. Noch schlimmer: die Meinungsführer in Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft loben jene politisch Verantwortlichen, die Entscheidung gegen den Willen der Mehrheit durchsetzen, als besonders tugendhaft. Müntefering wurde für sein Lebenswerk, die Erhöhung des Renteneintrittsalters gelobt, Schröder für die Agenda 2010, Angela Merkel für ihr stures Pochen auf Exportüberschüsse, Clement für seine Weichenstellungen zu Gunsten von Leiharbeit und anderen prekären Arbeitsverhältnissen; Steinbrück und Schäuble für ihre Sparmaßnahmen zulasten der Menschen, die auf öffentliche Güter angewiesen sind.

Die Mehrheit der Medien hat kräftig applaudiert. Deshalb ist ihre Forderung nach mehr Demokratie in der arabischen Welt ziemlich hohl. Sie wäre glaubwürdig, wenn die Medien endlich auch in Deutschland entdecken würden, dass nicht nur die Bedürfnisse der Oberschicht und einer viel beschworenen angeblichen Mittelschicht von politischem Interesse sind.

Das ist harter Tobak, allerdings muss man sich auch klarmachen, weshalb die Menschen in Ägypten, Tunesien und demnächst auch in anderen Staaten auf die Straße gehen. Sie haben ihre Regierungen einfach satt, die nicht nur demokratische Verhältnisse unterdrücken, sondern auch Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ausüben bzw. gegen den Willen des Volkes handeln und eine Verbesserung der Lebensbedingungen systematisch verhindern. So abwegig ist der Vergleich von Müller also nicht.

Allerdings weiß ich auch nicht genug über die Proteste im nahen Osten oder genauer in Nord-Afrika. Ich fühle mich da schlecht informiert. Schlecht zu informieren, wurde kürzlich auch den öffentliche rechtlichen Medien vorgeworfen. Nun wehrt sich der Chefredakteur von ARD-Aktuell Kai Gniffke. Im Interview mit Deutschlandradio Kultur stellt er klar:

Kai Gniffke, der Chefredakteur von ARD-aktuell, hat eingeräumt, dass die Frage der Menschenrechte in der Ägypten-Berichterstattung in der Vergangenheit zu kurz gekommen ist. In den letzten zehn, 20 Jahren sei die Tatsache nicht hinreichend gewürdigt worden, dass in Ägypten Ausnahmerecht herrsche, sagte er.

Wenn Mubarak auf Staatsbesuch in Deutschland gewesen sei oder deutsche Politiker in Ägypten, sei das Thema Menschenrechte von den Medien nicht angesprochen worden, kritisierte der ARD-Journalist: „Und im Nachhinein finde ich, dieser Reflex, den wir sonst bei China, bei Iran etwa haben, der hätte uns auch da gut zu Gesicht gestanden.“

Zu dem Vorwurf, die ARD berichte nicht genug in Sondersendungen über die Ereignisse in Ägypten, sagte Gniffke, er könne keine großen Lücken in der Berichterstattung erkennen. Schließlich sei die ARD kein Nachrichtenkanal, sondern ein Vollprogramm. „Sollten sich die Ereignisse weiter zuspitzen – klar wird man noch zusätzliche Ausgaben ins Programm nehmen, aber gestern, fand ich, sahen wir ehrlich gesagt, ganz gut aus.“

Über diesen journalistischen Tiefflieger könnte ich mich kaputtlachen. Hoppla, in Ägypten herrscht ja schon seit 20 Jahren Ausnahmezustand. Entschuldigung, dass haben wir leider übersehen. Was für ein Armutszeugnis. Noch schlimmer finde ich allerdings, dass Gniffke von einem „Reflex“ spricht, den Journalisten wie er sonst bei China und Iran problemlos zuließen. Das sagt viel über die geistige Haltung und Arbeitsauffassung eines Herrn Gniffke. Statt Recherche und Analyse braucht’s also mehr Reflexe. Ich denke nicht!

Ich erinnere nur an Gniffkes Kommentar in den Tagesthemen zum Thema Thüringen-Wahl im Oktober 2009. Da ist mir dieser öffentlich-rechtliche Totalausfall das erste Mal unangenehm aufgefallen. Damals hat Christoph Matschie eine mögliche und von den Thüringern gewählte linke Mehrheit im Landtag verhindert, weil er keinen linken Ministerpräsidenten wählen wollte. Stattdessen ist er lieber als Juniorpartner in eine sog. große Koalition (Die SPD ist nur drittstärkste Kraft geworden) eingetreten. Gniffke verteidigte die Entscheidung Matschies, in dem er seinem „Reflex“ gegen die Linkspartei freien Lauf ließ.

Thema war die SPD und im Einzelnen das Verhalten von Christoph Matschie in Thüringen, welches der Chefredakteur verteidigte. Matschie hätte recht mit seiner Entscheidung, nicht den einfacheren Weg zu rot-rot zu gehen. Matschie tue es für das Land, weil nicht die SPD ihr Verhältnis zur Linkspartei, sondern umgekehrt die Linke ihr Verhältnis zur SPD ändern müsse. Und jetzt kommt’s. Die Linke müssse sich entscheiden, ob sie an der Seite einer selbstbewussten SPD verantwortliche Politik machen will oder weiter dem Populismus frönen möchte. Da habe ich das erste Mal gelacht und gleichzeitig mit dem Kopf geschüttelt, da dem Chefredakteur offensichtlich die realen Kräfteverhältnisse in Thüringen aus dem Hirn gefallen sind.

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Sterben für Stuttgart 21?

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Diese Frage stellte ich mir unweigerlich, als ich die schrecklichen Bilder des Zugzusammenstoßes vom Wochenende sah und die heutige Stellungnahme der Bahn bzw. deren verantwortlichen Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, das Verkehrsministerium, welche, wie zu erwarten war, ihre Hände in Unschuld waschen.

Das Bundesverkehrsministerium sieht derweil keine Versäumnisse der Deutschen Bahn als Netzbetreiber. Erst bei Geschwindigkeiten von mehr als 100 Kilometern pro Stunde seien magnetische Abbremssysteme vorgeschrieben, sagte der Sprecher von Minister Peter Ramsauer (CSU) am Montag in Berlin.

Quelle: MoPo

Na ganz toll, fehlt nur noch die Aussage, dass theoretische Annahmen existieren, wonach Menschen nicht zu Schaden kommen, wenn Züge bei einer Geschwindigkeit unter 100 km/h verunglücken. Ich war am Wochenende in der Region unterwegs und die Sichtverhältnisse waren zum Teil sehr schlecht. Wieso existiert für solche Wetterbedingungen kein zusätzliches Sicherungssystem? Zum Beispiel eine Funkverbindung zur zuständigen Streckenüberwachung, die ja informiert sein muss, welche Züge auf einem Gleis unterwegs sind. Dazu braucht man nur Funkgeräte oder ein Telefon und keine teuren automatischen Bremssysteme. Eine protokollarisch vorgeschriebene Rückversicherung hätte in diesem Fall Leben retten können.

Im Übrigen gebe es auch Strecken mit automatischen Bremssystemen, auf denen nur mit 60 oder 80 Stundenkilometern gefahren werden dürfe. Allerdings liegen diese Gleise nicht im Osten der Republik. Die Bahn hätte also, wenn sie nur gewollt hätte, in Sachen Sicherheit längst aktiv werden können und zumindest einen einheitlichen Standard herstellen können. Allerdings liegen die Prioritäten des Konzerns ganz woanders, wie wir wissen. Und so müssen eben auch Menschen oder sagen wir Reisende sterben, damit zum Beispiel in Stuttgart ein scheingeschlichteter Bahnhof teuer vergraben werden darf.

Das schreibe ich auch deshalb so provokant hier hin, weil Zugunglücke mit vielen Opfern ein Kennzeichen von Bahnprivatisierungen sind. Wir sind ja nicht die ersten, die das machen. Auch die Briten haben diese bittere Erfahrung machen müssen.

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