Gabriels Energiewende lässt das Wesentliche außen vor

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Wie lautet  der große Plan des neuen Bundeswirtschaftsministers mit besonderen Zuständigkeiten in Sachen Erneuerbare Energien? Sigmar Gabriel will den Anstieg der Strompreise begrenzen und glaubt, dieses Ziel mit deutlichen Abstrichen bei der Förderung von Ökostrom erreichen zu können. EEG 2.0 nennt er sein Projekt, das wesentliche Fragen unbeantwortet lässt.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat in seinem Sondergutachten mit dem Titel „Den Strommarkt der Zukunft gestalten“, das seit Montag den Abgeordneten des Bundestages als Drucksache 18/281 vorliegt, klare Zusammenhänge benannt. Die Experten warnen vor Fehldeutungen und raten zu einer Versachlichung der Kostendebatte. Sie schreiben in ihrem Bericht:

Die grundlegende Reformbedürftigkeit des EEG wird in der öffentlichen Diskussion oft damit begründet, dass das EEG hohe Stromkosten verursache, deren weiteres Anwachsen gestoppt werden müsse. Allerdings werden in dieser Diskussion verschiedene Argumentationsebenen vermengt. Erstens wird der Strompreisanstieg der letzten Jahre einseitig mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien erklärt. Zweitens konzentriert sich die Auseinandersetzung auf einen Indikator, der zur Ermittlung der tatsächlichen Förderkosten der erneuerbaren Energien ungeeignet ist. Drittens werden die resultierenden sozialen Probleme und die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Entwicklungen überzeichnet.

Der SRU warnt ausdrücklich vor solchen Fehldeutungen. Die Verdoppelung des Haushaltsstrompreises im Laufe der letzten Dekade war vor allem durch den Kostenanstieg der fossilen Energieträger getrieben. Zudem ist die EEG-Umlage als Indikator für die Kosten der erneuerbaren Energien untauglich. Die Umlage – als Differenz zwischen Einspeisevergütung und Marktpreis – steigt unter anderem, weil die großzügigen Befreiungen für eine Reihe von Industrieunternehmen auf alle anderen Stromkunden umgelegt werden.

Zu einer Steigerung führt paradoxerweise auch, dass der Börsenstrompreis wegen sinkender CO2-Preise und der wachsenden Einspeisung erneuerbarer Energien fällt. Beide Effekte stellen aber keine Förderkosten für die erneuerbaren Energien dar. Fehlerhafte Indikatoren können zu fehlerhaften Reformen führen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen und damit das Gesamtziel der Energiewende gefährden würden.

In welchem Umfang Herr Gabriel und die Bundesregierung die großzügigen Befreiungen für Industrieunternehmen nun zurücknehmen wollen, bleibt auch nach dem Treffen der Schlossgeister in Meseberg weiterhin unklar. Was ist mit den niedrigen Preisen an der Strombörse, die seltsamerweise zu einem Anstieg der Verbraucherpreise führen? Auch dazu findet sich keine Position des SPD-Vorsitzenden und Superministers, der gleichzeitig auf Vokabeln wie “Marktnähe” zurückgreift.

Eine Strompreisaufsicht könnte helfen, den Markt so zu regulieren, das er der Allgemeinheit dient und nicht dem Stromkartell. Gabriels Kanzlerkandidat hatte so etwas kurz vor der Wahl noch gefordert. Doch das ist längst vergessen. Wem Gabriel gehorcht und dient, dürfte inzwischen klar sein. Klaus Stuttmann hat es im Bild festgehalten.

Quelle: Stuttmann Karikaturen

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Die Koalition der großen Coups

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Alle schreiben, das Gabriel und der SPD ein großer Coup gelungen sei. Trotz ihres Wahldebakels habe die Parteispitze ein aus SPD-Sicht gutes Verhandlungsergebnis erzielt, das auch die Basis überzeugen konnte. Bei der Vergabe der Ministerposten ernten die Spitzengenossen ebenfalls staunende Blicke. Die Union steht zu Beginn der 3. Großen Koalition als vermeintliche Verliererin da. Doch verlieren wird und kann auch nur die SPD.

Das Regieren unter Angela Merkel ist zu einem quälenden Prozess verkommen. Entscheidungen werden nicht getroffen, sondern so lange hinausgezögert, bis es nicht mehr anders geht. Warum sollte die SPD daran etwas ändern können, zumal die nächsten Wahlen ihre Schatten schon voraus werfen. Viele fragen, was die Union eigentlich aus ihrem Programm in den Koalitionsvertrag hat einbringen können. Die Antwort: Kaum etwas. Das ist aber keine Niederlage, sondern Absicht derer, die bloß so weitermachen wollen wie bisher. Der Union reicht Angela Merkel als unangreifbare Übermutti und ansonsten reicht es ihr, die SPD in ihrem Eifer auszubremsen.

Nicht nur Merkel, sondern auch Schäuble, der als Finanzminister über besondere Rechte in der Regierungsmannschaft verfügt, werden zu gegebener Zeit intervenieren. Die Vorboten treten bereits in Erscheinung. Die zu kurz gekommenen Jungpolitiker in der Union wie Mißfelder und Spahn kritisieren den Koalitionsvertrag ganz offen, obwohl sie ihn zum Teil selbst mit aushandelten. Über viele Dinge müsse im Verlauf der Legislaturperiode noch einmal gesprochen werden, so die Auffassung. Und das wird auch so geschehen mit Unterstützung der sogenannten Experten an ihrer Seite wie auch den Medien.

Glaube an den Weihnachtsmann

Die SPD hingegen glaubt fest an das Gegenteil und erweckt auch den Eindruck, sie könne in dieser Koalition politische Erfolge erringen. Die Sozialdemokraten scheinen immer noch nicht verstanden zu haben, wie politische Entscheidungen in diesem Land unter Merkel vorbereitet werden. Dabei hätten sie aus der beispiellosen Demontage ihres zunächst gefeierten Kandidaten Steinbrück etwas lernen können. Zu viel Lorbeeren und Bewunderung vom Gegner ist trügerisch. Dennoch nutzte die Parteispitze um Gabriel deren vergiftetes Lob erneut als Argument, um die eigenen Leute in einem aussichtslosen Kampf hinter sich zu scharren.

Politische Entscheidungen unter Merkel werden durch das öffentliche Klima bestimmt. Gerade beim Thema Rente ist der eisige Gegenwind schon deutlich zu spüren. Die Stimmungsmache läuft bereits in den Medien mit Begriffen wie „Wahlgeschenk“ oder „Wohltat“. Die SPD merkt das nicht, sondern sonnt sich noch im Lichte eines Koalitionsvertrages, der nicht das Papier wert sein wird, auf dem er geschrieben steht. Die Sozialdemokraten werden mit einer Union, die sich aufs Bremsen verständigt hat und die Medienmacht im Rücken weiß, um halbherzige sozialpolitische Korrekturen im Koalitionsausschuss ringen müssen, während die Opposition mit der Umsetzung eines viel besseren Pakets frohlockt.

Posten als Belohnung fürs Scheitern in Vergangenheit und Zukunft

Der erhoffte Glanz, von dem auch die Wähler Notiz nehmen würden, bleibt ein frommer Wunschtraum derer, die mit einem Pöstchen im großen Personalkarussell entlohnt worden sind. Union und SPD wollen insgesamt 33 Parlamentarische Staatssekretäre ernennen. Ein neuer Negativrekord. Hinzu kommen die beamteten Staatssekretäre wie der unsägliche Asmussen, der bei der EZB aufgrund seiner mittelmäßigen ökonomischen Fähigkeiten mehr oder weniger kaltgestellt, nun ausgerechnet ins Arbeitsministerium entsorgt werden muss (was genau dahinter steckt, hat Jens Berger etwas genauer analysiert).

Hinzu kommt noch das Bundestagspräsidium, das noch vor Abschluss der Koalitionsgespräche in einem Akt großer Einigkeit zwischen Union und SPD aufgestockt werden musste. Die Posse des Postengeschachers liefert aber die Chefin selbst. Auf ihrer Pressekonferenz kündigte Kanzlerin Angela Merkel eine neue Stelle in ihrer Machtzentrale an. Ein neuer Staatssekretär soll sich um die Belange der Geheimdienste kümmern. Und zwar wegen dem, was andere die NSA-Affäre nennen, sie aber lieber als Angelegenheit bezeichnen würde. Das ist Kanzlerinnen-Duktus und zu diesem passt dann auch Klaus-Dieter Fritsche, der offenbar als Entschädigung für die beim Postengeschacher arg zu kurz gekommene CSU befördert werden soll.

Bleibt eigentlich nur noch Ursula von der Leyen, die künftig das Verteidigungsressort leiten soll. Diese Personalentscheidung gilt als faustdicke Überraschung und als mehr oder weniger gelungener Coup der Kanzlerin. Was daran nun aber gelungen sein soll, erschließt sich wohl nur den Hauptstadtjournalisten. Auf die erste wirklich gute Frage von Günther Jauch (Verstehen sie etwas von Verteidigungspolitik?) antwortete die designierte Ministerin gestern mit einem sehr ausführlich vorgetragenen und bezeichnenden Nein.

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Kampagnen hüben wie drüben

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Ein Interview von Marietta Slomka mit SPD-Chef Sigmar Gabriel im ZDF heute journal sorgt für Aufregung. Beide lieferten sich gestern Abend ein Wortgefecht der besonderen Art. Slomka konfrontierte den SPD-Chef mit der Meinung des Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart, wonach der Mitgliederentscheid verfassungsrechtlich illegitim sei, weil dieser die Abgeordneten in der Ausübung ihres freien Mandats einschränken würde. Gabriel meint, alles Quatsch, findet aber nicht die richtigen Argumente. Dabei waren er und Slomka sich doch einig. Die SPD muss zustimmen.

Quelle: heute journal vom 28.11.2013

Statt sich auf eine Diskussion mit Slomka einzulassen, hätte Gabriel auf den Koalitionsvertrag verweisen können, den Frau Slomka offenbar auch nicht wirklich gelesen hat, indem aber die Einschränkung des freien Mandats von CDU, CSU und SPD festgeschrieben wurde. Ich darf mal zitieren (Seite 184):

Kooperation der Fraktionen

Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.

Entschuldigung, aber im Gegensatz dazu ist die popelige Mitgliederbefragung ein Witz. Die SPD hat sich mit ihrer staatstragenden Haltung mal wieder ins Abseits geschossen und zur Zielscheibe des Kampagnenjournalismus gemacht. Nun wundert sich die SPD-Parteiführung, die ja auch ein “Ja” bei den Mitgliedern erzwingen will, über die Angriffslust der Systemmedien. Immerhin besteht ein Risiko, falls die Mitglieder ablehnen und die SPD-Führung bzw. die Abgeordneten dem folgen müssten. Da werden schon mal schwere Geschütze aufgefahren, um die Entscheidung zu beeinflussen.

Die Kampagne hat mehrere Ebenen, derer sich auch die SPD-Führung bedient. Die SPD sei die Gewinnerin der Koalitionsverhandlungen ist eine davon. Demnach trage der Vertrag vor allem die Handschrift der Sozialdemokraten. Gabriel selbst bestätigte diesen Unsinn einmal mehr und zitierte ausgerechnet Herrn Lindner von der FDP. Das alles soll die Mitglieder beeindrucken und sie zur Zustimmung bewegen. Das zweite sind die möglichen Folgen, die bei einer Ablehnung des Vertrages durch die SPD-Mitglieder drohen würden. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass einige der Meinung sind, das in diesem Fall eine Staatskrise über das Land hereinbräche.

Nun versuchen sie es mit der Verfassung und dem Recht auf die Ausübung des freien Mandats. Mit anderen Worten: Wenn die gewählten Volksvertreter der Meinung sind, dass die Koalition richtig sei, dürfen sie sich nicht durch einen Mitgliederentscheid davon abbringen lassen. Doch, wie oben schon erwähnt, müsste diese Regel auch für den Fraktionszwang gelten, der so im Grundgesetz ebenfalls nicht vorgesehen ist. Verfassungsrechtlich hat die Regierungschefin die Möglichkeit, mit Hilfe der Vertrauensfrage sich ihrer parlamentarischen Mehrheit zu versichern. Das wollen  Herr Gabriel von der SPD wie auch Frau Slomka vom ZDF der Frau Merkel von der CDU aber offenbar nicht zumuten.

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Déjà-vu

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Schwere Verhandlungen schweißen Schwarz-Gelb -Rot zusammen. Man kann da schon durcheinander kommen. Vor vier Jahren haben die Schwarzen und die Gelben ebenso freudig gescherzt wie heute die Schwarzen und die Roten. Sigmar Gabriel ist ein würdiger Nachfolger für Guido Westerwelle. Allerdings ist nicht abschließend geklärt worden, ob der Siggi nun auch den Horst duzen darf, aber das kann ja noch werden, bevor sie sich gegenseitig als Wildsäue und Gurkentruppe verunglimpfen.

Für die SPD-Mitglieder ist die Botschaft klar. Wer will, dass sich Horst und Siggi künftig duzen, muss mit Ja stimmen.

Damals wars

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Er steht da nur und kann nicht anders

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Da steht er nun und kann nicht anders. Sigmar Gabriel empfiehlt seiner Partei die Große Koalition. Er würde einen ausgeben, wenn in Prozent umgerechnet nur so viele Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen würden wie ihn als Parteivorsitzenden. Gleichzeitig kann er seiner Basis aber nichts anbieten, denn die Verhandlungen mit der Union sind bisher ergebnislos verlaufen. Gabriels Dialektik besteht nun darin, einen Koalitionsvertrag mit SPD-Handschrift in Aussicht zu stellen und dafür bereits um Zustimmung zu werben. Gleichzeitig würde er einen Vertrag aber gar nicht erst vorlegen, wenn dieser nicht den Kriterien seiner Partei entspricht.

Das heißt, am Ende geht es bloß um hübsche aber inhaltsleere Schaufensterschachteln, wie Peer Steinbrück vor der Wahl und zugegebenermaßen treffend formulierte, als er das Programm der Union kritisierte. Natürlich wird es eine Schachtel mit der Aufschrift Mindestlohn geben und natürlich wird es auch eine Schachtel mit der Aufschrift doppelte Staatsbürgerschaft geben. Das wird die Union schon liefern, aber konkret geht es doch dann um Formulierungen, mit denen sowohl Union als auch SPD vor ihre Anhänger treten und sich das Bündnis absegnen lassen können.

Daher können beide Seiten, obwohl sie ihre Zustimmung zu einem Koalitionsvertrag gerade wieder öffentlich infrage stellen, auch von Verhandlungen sprechen, die sich auf der Zielgerade befänden und Ende November zu einem Abschluss gebracht werden sollen. Wer hier wen gemeinschaftlich für dumm verkauft, das sollte inzwischen klar sein. Machen Sie sich auf ein Feuerwerk der Durchbrüche gefasst, die weder zum Wohle der einen noch der anderen Partei vermeldet, sondern einzig und allein in Ihrem Sinne ausfallen werden. Merken Sie sich die Worte Volker Kauders: “Die großen Streitpunkte werden in den letzten zwei Verhandlungstagen entschieden.”

Das alles wäre viel einfacher, wenn es keine Mehrheit links von Frau Merkel gäbe. Diese aber sei nur eine Scheinmehrheit, die nach kurzer Zeit schon wieder zerbrechen würde, meinte Gabriel auf dem Parteitag, weshalb sie auch frühestens ab 2017 wahrgenommen werden dürfe. Es handelt sich also quasi um eine Mehrheit auf Zeit. Doch was unterscheidet diese Mehrheit auf Zeit von einem offen propagierten Bündnis auf Zeit mit der Union? Nun, für das Bündnis auf Zeit mit der Union spricht offenbar die Verlässlichkeit eines Vertrages mit den oben bereits erwähnten Schaufensterschachteln. Ein vorzeitiger Ausstieg wäre aus- und die Ablehnung des eigenen Wahlprogramms im Bundestag mit eingeschlossen.

Ein Bündnis mit Grünen und Linken scheitere zwar nicht an der Kanzlerwahl, so Gabriel, dafür aber an dem Hass einiger Linker gegenüber der SPD. Wenn überhaupt beruht das Verhältnis auf Gegenseitigkeit. Das nur zur Klarstellung. Im Kern spielt Gabriel mit seinen Spitzengenossen immer noch die gleiche Leier. Weil es auf der persönlichen Ebene nicht klappt, könne eine Zusammenarbeit nicht funktionieren. Doch wie passt dieses infantile Gehabe zum Pathos der Inhalte, um die sich bei den Sozialdemokraten doch alles drehe?

“Die Deutschen wollen, dass wir nicht im Interesse von Parteien handeln, sondern im Interesse der Menschen in unserem Land”, sagte Gabriel im Interview mit der ARD. Das trifft aber nur für Verhandlungen mit der Union zu, mit denen man sich im Interesse der Menschen offenbar viel besser versteht als mit den Linken, die zufällig das gleiche inhaltlich wollen, wie die SPD. Was wäre da wohl besser für die Menschen? Eine Große Koalition, die im Grunde nur eine Fortsetzung dessen ist, was seit ein paar Wochen Koalitionsverhandlungen genannt wird, nämlich über die Medien zum gegenseitigen Einlenken aufzurufen, um sich dann im Koalitionsausschuss auf einen windelweichen Kompromiss zu einigen? 

Oder sollte eine Regierung tatsächlich daran interessiert sein, möglichst schnell jenes Programm umzusetzen, dass man für absolut notwendig erachtet, auch wenn man sich persönlich nicht leiden kann? Sogar die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat wären zur Zeit so, dass man eine Politik im Interesse der Mehrheit der Menschen in diesem Land wagen könnte.

Quelle: Bundesrat

Doch Sigmar Gabriel steht da nur und kann nicht anders. Weil er es einfach nicht will.

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Die SPD und die 100 Prozent

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„Viele Wähler haben eben nicht für die SPD gestimmt. Da kann am Ende eines solchen Prozesses auch nicht 100 Prozent SPD rauskommen“, sagte Hannelore Kraft heute auf dem Parteitag der SPD in Leipzig und Gabriel so etwas Ähnliches. Aber mehr als Nichts sollte es doch schon sein. Nach derzeitigem Stand könnte die SPD allerdings mehr von ihrem Programm umsetzen, wenn sie in der Opposition bliebe. Ob die Delegierten aber auch wissen, dass eine SPD-Bundestagsfraktion in der Großen Koalition ihr eigenes Programm, ihre eigenen Inhalte, für die Frau Kraft und der heuchelnde Rest der Parteispitze angeblich so sehr kämpfen, offen ablehnen müssten, wenn die Linkspartei oder die Grünen es ihr servieren?

Neben all der leisen und selbstkritischen Töne bleibt doch immer noch die simple Arithmetik, die der Traumrealität entgegensteht. Was könnte die SPD schon mit der Union umsetzen, das sie nicht viel besser in einer Koalition unter eigener Führung verwirklichen könnte? Aber die ist für den Moment noch ausgeschlossen, obwohl es, wie wir seit heute wissen, nie an der SPD lag. Geredet habe man mit den Linken. Für die Zukunft gelten Bedingungen, und zwar eine stabile und verlässliche parlamentarische Mehrheit, ein finanzierbarer Koalitionsvertrag und eine „verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen“.

Demnach reicht eine einfache Mehrheit nicht aus, und die Linke müsste, wie die SPD heute, im Rahmen verantwortungsvoller Außenpolitik, dem Kauf und Einsatz von weiteren Kampfdrohnen zustimmen, egal ob sie nun fliegen dürfen oder nicht oder wenn sie denn doch in der Luft sind nacheinander abstürzen. Aber das sind ja nur Kompromisse, die der staatspolitisch Verantwortliche eingehen müsse. Ziel der SPD sei es aber wirklich, versichert Frau Kraft, Verbesserungen für die Menschen zu erreichen. „Die Inhalte sind wichtig. Messt uns am Ende an den Inhalten“, rief sie mit gebrochener Stimme. Doch welche Inhalte sind noch übrig oder nicht bereits verwässert?

Die SPD dürfe nicht vergessen, dass 75 Prozent der Wähler nicht für die Sozialdemokraten gestimmt haben. Man könne deshalb auch nicht erwarten, dass in einem Koalitionsvertrag mit der Union zu 100 Prozent SPD-Forderungen erfüllt werden, sagte Kraft, wie oben bereits erwähnt. Richtig, die SPD ist von einer überwältigenden Mehrheit nicht gewählt worden. Keiner erwartet deshalb 100 Prozent SPD, aber doch in jedem Fall den Rücktritt der Personen, die das zweitschlechteste Ergebnis der Geschichte zu verantworten haben.

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Worüber verhandelt die SPD eigentlich?

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Die SPD Basis soll sich nicht so anstellen und auf keinen Fall erwarten, dass Angela Merkel einen Koalitionsvertrag unterschreiben würde, der die Handschrift der SPD trage. Man solle kompromissbereit sein. So oder so ähnlich sprach der große Vorsitzende, Sigmar Gabriel, an diesem Wochenende in Berlin vor seinen Parteifreunden. Okay ich weiß, er nannte Zahlen. Es sei eine Illusion zu glauben, dass Merkel in einem Koalitionsvertrag zu 100 Prozent das SPD-Programm unterschreibe. Doch welche Teile des SPD Programms werden hier eigentlich verhandelt und durchgesetzt?

Bislang ist nicht viel bei den Koalitionsverhandlungen herausgekommen. Allein die Einigung bei der Finanztransaktionssteuer konnte vermeldet werden – keine wirkliche Neuigkeit. Auf diesem Gebiet sind sich alle seit Jahren einig. Passiert ist allerdings wenig. Außerdem wollen die künftigen Koalitionäre Breitbandverbindungen im ländlichen Raum ausbauen. Damit werden auch auf diesem relativ unproblematischen Terrain bahnbrechende Weichenstellungen vorgenommen. Möglicherweise reicht das ja schon für die Verhandlungsführer der SPD, um ihre Unterschrift unter einen Koalitionsvertrag zu setzen. Denn laut Gabriel könne es sich eine Partei wie die SPD nicht leisten, alles oder nichts zu sagen.

Es sei auch eine Illusion zu glauben, die SPD gewinne bei der nächsten Wahl mehr als 25 Prozent der Stimmen, weil sie an ihrem Programm festgehalten habe, so Gabriel. Vielleicht fährt die SPD ja nur deshalb schlechte Ergebnisse ein, weil der Partei das versagende Führungspersonal wichtiger ist, als das eigene Programm. Doch auf das Naheliegende kommt Herr Gabriel nicht. Er sehe es lieber, wenn seine Partei verhandelt und sich einem Abwägungsprozess stellt. „Wenn wir den Beweis antreten, dass wir davor Schiss haben, sind 20 Prozent nicht die untere Grenze.“ Dafür gibt es sogar Lob für den SPD-Chef. Nicht von den eigenen Genossen, aber vom politischen Gegner, der wohl nie einer war.

Finanzminister Schäuble bewundert Gabriel regelrecht. Er mache es sehr gut, wie er seine Partei auf den Weg in eine Große Koalition mitnehme, sagt Schäuble. Der ist sich sicher, dass das Projekt gelingt. Was nützt es da noch, wenn Gabriel vor der Parteibasis so tut, als könnten die Verhandlungen auch noch scheitern? Klar, eine Einigung bei Themen wie dem Mindestlohn, der doppelten Staatsbürgerschaft oder der Re-Regulierung des Arbeitsmarktes müssen her oder zumindest vorzeigbar sein. Letztlich werden sich Gabriel und seine Spießgesellen aber nicht querstellen, wenn die entsprechenden Pöstchen winken. Denn auch hier verzichtet die Parteiführung auf das Prinzip alles oder nichts. Augenhöhe reicht den bescheidenen Funktionsträgern ja aus.

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Kein Schäfermatt mit SPD und Grünen

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Die Woche begann mit einem Telefonat zwischen Angela Merkel und Sigmar Gabriel. Es endete mit dem Ergebnis, erst einmal abzuwarten. Die Kanzlerin äußerte Verständnis für die Haltung des SPD-Chefs, der auf einem kleinen Parteitag am heutigen Freitag die Lage mit seiner Partei besprechen will. Merkel schwieg daraufhin, ihre Truppen aber nicht. Sie ließ führende CDU Vertreter von der Leine oder pfiff sie jedenfalls nicht zurück. Die Weichen sollen auf Große Koalition gestellt und die SPD logischerweise zur Mitarbeit gezwungen werden.

Für dieses Ziel werden überraschend auch inhaltliche Positionen über Bord geworfen. Die Posse um die Steuerpolitik zeigt das deutlich. Die Presse kann sich folglich auch nicht entscheiden, ob sie das nun gut oder schlecht finden soll. Die einen schreiben von Wählerbetrug, die anderen von ganz normalen Vorgängen im Rahmen einer Koalitionsbildung, die nur mit Kompromissen funktionieren kann. Wieder andere entdecken plötzlich, dass die Grünen mit ihren Steuerplänen doch die ehrlichsten Positionen vertreten hätten, aber offenbar Opfer einer Kampagne von Lobbyisten und politischen Gegnern wurden.

All das läuft unter dem Motto, die CDU müsse eine Regierung bilden. Das muss sie aber nicht. Um regieren zu können, braucht sie eine Mehrheit, mehr nicht. Sie hat keinen Auftrag, die Regierung zu bilden, wie das immer wieder, auch von SPD und Grünen, behauptet wird. Sie hätte nur dann einen Auftrag, wenn sie vom Wähler auch mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet worden wäre. Geht es also um Bälle, die in irgendwelchen Spielfeldern liegen? Nein. Das Spiel heißt Schach. Doch SPD und Grüne merken nicht, dass sie die schwarze Königin mit einem oder mehreren Zügen leicht ausschließen und die Union als ganzes mattsetzen können.

Die Linkspartei hat diese Woche gezeigt, wie das mit dem Schäfermatt geht. Noch bevor es zu einer Regierungsbildung kommen soll, könnte der Mindestlohn, eine zentrale Forderung der SPD, beschlossen werden. Gysi schob strategisch klug nach, dass über die Höhe des Mindestlohns leicht ein Kompromiss erzielt werden könne. Die schwarze Dame Merkel wäre handlungsunfähig außen vor. Die armselige Antwort der SPD ist bekannt. Immer wenn sie eine Mehrheit hat, sind ihr die eigenen Inhalte so wichtig, dass man sie parteitaktischen Spielchen nicht opfern, also lieber nicht umsetzen will. Dazu ist alles gesagt. Sollen sich die verbliebenen SPD Mitglieder damit herumärgern.

Der Deutsche, so lernen wir immer wieder, ist einzig und allein an stabilen Verhältnissen interessiert. Bereits nach der Wahl präsentierten die Demoskopen Umfragen mit Spitzenwerten für eine Große Koalition. Die Menschen wollen dieses Bündnis, so die Botschaft. Diese Kampagne startete bereits vor der Wahl. Laut Deutschlandtrend vom August, hätten sich 23 Prozent der Deutschen eine Große Koalition gewünscht. Da keine andere Konstellation mehr Zuspruch erfuhr, deuteten die Demoskopen und viele Medien dieses Ergebnis als klares Bekenntnis.

Dass zum Ende der letzten Großen Koalition über 30 Prozent der Befragten ein Weiterregieren derselben wünschten, wurde damals als klare Wechselstimmung interpretiert. Inzwischen fänden 64 Prozent der Deutschen eine Große Koalition für gut oder sehr gut, meldete die ARD am Montag. Heute ist Freitag und dieselben Demoskopen fragten mal wieder anders nach dem gewünschten Bündnis. Welche Koalition wäre Ihnen am liebsten? 48 Prozent sagen CDU/CSU/SPD.

Damit muss ja nur noch die Frage geklärt werden, wer sich und seine Inhalte so verbiegt, dass es der Deutsche nicht so sehr merkt oder anders ausgedrückt: Wie bekommt die SPD ihr Programm in jene leeren Schachteln der CDU, die von der Kanzlerin hübsch ins Schaufenster gestellt worden sind.

Edit: Die Kanzlerin arbeitet übrigens am sogenannten Narrenmatt. Das setzt zwei schlechte Züge des im Vorteil befindlichen weißen Gegners voraus. Weil Weiß also daran mitwirkt sich selbst Matt zu setzen, spricht der Fachmann vom Narrenmatt. Schachspieler Steinbrück möchte an dieser törichten aller Eröffnungen übrigens gern mitwirken.

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Jubel in Leipzig und in Kassel

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Heute feiert die Sozialdemokratie ihren 150. Geburtstag und ein im Mai 2007 geborener Kläger vor dem Bundessozialgericht einen Erfolg, der ohne die SPD nicht denkbar wäre. Dem inzwischen Sechsjährigen steht nämlich ein Jugendbett als Erstausstattung im Rahmen der in Leipzig noch einmal ausdrücklich von allen Seiten gelobten Hartz-IV-Gesetzgebung zu. Allerdings ist noch nicht klar, ob auch die Anschaffungskosten in Höhe von 272 Euro angemessen sind. Denn das muss nun jenes Sozialgericht entscheiden, das dem jungen Kläger zuvor die Bewilligung von Leistungen für ein “Jugendbett” mit Lattenrost auf Grundlage der in Leipzig noch einmal von allen Seiten so gelobten Hartz-IV-Gesetzgebung rechtswidrig versagt hatte.

Beim Festakt im Leipziger Gewandhaus spielen solche in der Sache und Juristerei widersprüchlichen Einzelschicksale freilich keine Rolle. Der 150. Geburtstag der “alten Tante” SPD wurde wie erwartet dafür missbraucht, um ein weiteres Mal die krachend gescheiterte Agenda-Politik als bahnbrechenden Erfolg zu würdigen.

SPD_150_Neu

Hier ziehen der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel und dessen heimliche Kanzlerkandidatin, die in Leipzig ganz selbstverständlich neben ihm in der ersten Reihe Platz genommen hatte, an einem Strang. Denn was der ganz links im Bild abgeschnittene Altkanzler Schröder begann, setzt Angela Merkel mit Hilfe von lauter Sozialdemokraten um sie herum in Europa und Deutschland auf brutale Weise weiter um. Sie alle wissen, was angemessen ist für Europa, Deutschland und vor dem Sozialgericht klagende Windelträger, die bis zu einer richterlichen Entscheidung längst aus Betten und knappen Regelsätzen hinaus- und in die von der SPD zu verantwortende Armut dauerhaft hineingewachsen sind.

Es braucht offensichtlich drei Jahre und mehrere Gerichte, um festzustellen:

Der Bedarf nach einem neuen Bett sei lediglich wegen des Wachsens des Klägers entstanden.

In diesem von Richtern formulierten einfachen und für jeden verständlichen Satz drückt sich der unbeschreibliche Erfolg der von allen Seiten so gelobten und einzig noch lebenden Agenda-Reform aus. Dafür hat die SPD 150 Jahre gekämpft. Chapeau.

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Was da Mindestlohn genannt wird

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Derzeit spricht ganz Deutschland über faule Eier. Die Diskussion um den Mindestlohn gehört auch dazu. Da hat der Bundesrat eine Initiative gestartet, wonach Deutschland einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro bekommen soll. Die Bundesregierung lehnt das natürlich ab, die Arbeitgeber auch und der Vize der Agentur für Arbeit Heinrich Alt meint, der Mindestlohn würde an der Zahl der Aufstocker nichts ändern.

Recht hat er, denn die 8,50 Euro machen bei einer Vollzeitbeschäftigung von 160 Stunden im Monat gerade mal einen Bruttomonatslohn von 1360 Euro aus. Und wer hat schon einen Vollzeitarbeitsvertrag? „Von den 1,2 Millionen Aufstockern, die wir haben, sind 320 000 Vollzeit beschäftigt“, sagt Alt im Interview. Die niedrigen Löhne sind das eine, die prekäre Beschäftigung das andere. Darüber redet nur keiner.

Doch was ist von dem Vorstoß des Bundesrates zu halten? Der SPD-Chef Sigmar Gabriel plustert sich schon mal mächtig auf und brüllt in Richtung FDP: „Ein Mindestlohn ist der Lohn, den man braucht, um trotz Vollzeitarbeit nicht zum Sozialamt gehen zu müssen.“ Das sagt der Richtige, der wie einst bei der Geburt der Agenda 2010 jetzt auch wieder nicht merkt, wie missgebildet die Realität doch ist.

Hinzu kommt, dass erst kürzlich die Mathematik-Genies im Arbeitsministerium herausgefunden haben, was von der rot-grünen Senkung des Rentenniveaus am Ende übrig bleibt. Demnach führe ein Bruttomonatsgehalt von unter 2500 Euro nach 35 Beitragsjahren zwangsläufig zur Altersarmut. Das heißt, wenn Gabriel wirklich wollte, dass niemand trotz Vollzeitarbeit zum Sozialamt gehen muss, müsste er in Kenntnis der großen Rentenreform seiner Partei einen Mindestlohn von wenigstens 15,63 Euro fordern, statt lumpige 8,50 Euro als einen noch größeren sozialdemokratischen Wurf zu bezeichnen. Denn, so betont Erzengel Gabriel ja immer, nur gerechte Löhne würden vor echter Altersarmut schützen.

Doch um eine vernünftige Politik geht es schon lange nicht mehr. Die jetzige SPD-Initiative für den Mindestlohn ist genauso verlogen, wie das fast geschlossene Nein der SPD-Fraktion zum Mindestlohn im Jahr 2007. Damals meinten die Sozialdemokraten als Juniorpartner der CDU noch, die Linken würden nur einen Politzirkus veranstalten wollen. Den Zirkus veranstaltet die SPD nun wieder selbst. Sie fordert den Mindestlohn immer nur dann, wenn sicher ist, dass sie ihn nicht durchsetzen kann.

Die Arbeitgeber halten den Mindestlohn für „Gift“. Diese drastischen Worte wählte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann. Er sagte, vielen Geringqualifizierten würde damit der berufliche Einstieg erschwert. Das ist interessant. Heute war ich in Hannover auf der jährlich stattfindenden Berufs- und Ausbildungsmesse. Dort referierte ein Vertreter der IHK Hannover. Er meinte, dass der Fachkräftemangel in Niedersachsen und die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien eine Win-Win-Situation darstellen würde. Das sagt eigentlich alles.

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