Kräftige Bremsspuren beim europäischen Konsum

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Diese Woche meldete das statistische Bundesamt freudig einen Anstieg der Umsätze im Einzelhandel für den Monat März. Folglich war gleich wieder von einer Frühjahrsstimmung die Rede, die sich die Verbraucher selbst durch die hohen Spritpreise nicht verderben lassen wollten. Bei der Einordnung des mickrigen Anstiegs tun sich die Redakteure allerdings schwer. Die einen schreiben von einer deutlichen Zunahme und die anderen von einem leichten Umsatzplus, das hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei.

Besser als diese Kaffeesatzleserei um ein reales Plus von 0,8 Prozent im Vergleich zum Februar ist der europäische Vergleich. Denn inzwischen hat es die sparwütige deutsche Regierung mit ihren strengen Vorgaben wie Einkommenskürzungen, Fiskalpakt und Schuldenbremse geschafft, die meisten europäischen Staaten beim Konsum auf das erbärmliche deutsche Niveau herunterzuziehen. Allein in Frankreich herrscht noch so etwas wie eine Kauflaune, die auch von den Menschen durch reales Geldausgeben untermauert wird. Es fragt sich nur, wie lange noch.

 

Quelle: Querschuesse

Dem möglichen Gewinner der Präsidentschaftswahl in Frankreich Francois Hollande bläst schon ein eisiger Austeritätswind ins Gesicht. Offen ausgesprochene Warnungen von den erklärten Schuldenbremsern sind nicht zu überhören. Auch wenn sich neoliberale Sprechblasenautomaten wie Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits verstärkt auf Hollande einzustellen versuchen, indem sie immer häufiger davon faseln, neben der Sparerei das Wachstum nicht aus den Augen verlieren zu wollen, so halten sie doch im Kern an ihrem Kürzungskurs fest. Bei Merkel heißt das ja seit neuestem “Wachstum durch Strukturreformen”, was in Wirklichkeit nichts anderes als die Einhaltung von Fiskalpakt und Schuldenbremse bedeutet.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hatte aber ebenfalls in dieser Woche in einer Studie genau das Gegenteil herausgefunden und gesagt, dass Wachstum durch Strukturreformen nicht festzustellen und die bisher angewandte Sparstrategie kontraproduktiv und wenig durchdacht gewesen sei.

„Die Strategie des Sparens und Regulierens sollte zu mehr Wachstum führen, was jedoch nicht geschieht“, sagte der ILO-Direktor für internationale Arbeitsmarktstudien und Hauptautor des Berichts, Raymond Torres, in Genf. Die Spar-Strategie sei damit „kontraproduktiv“ gewesen. Torres bescheinigte den EU-Staaten, „wenig durchdachte“ Sparprogramme aufgelegt zu haben. Als Beispiel nannte er Spanien, wo das Haushaltsdefizit trotz drastischer Einsparungen nur von gut neun Prozent im Jahr 2010 auf 8,5 Prozent 2011 gesunken sei.

Quelle: Stern Online

Lohnsteigerungen sind im rechten Maß mal wieder voll OK

Nun stellt sich aber auch die Frage, wer in Zukunft die Maden aus Germany kaufen soll. Die Deutschen selber? Bundesfinanzminister Schäuble meint ja. Er findet Lohnsteigerungen voll OK.

Deutschland habe seine Hausaufgaben gemacht und könne sich höhere Tarifabschlüsse besser leisten als andere Staaten. „Wir haben viele Jahre der Reformen hinter uns“, fügte er hinzu.

Deutschland kommt nach Schäubles Worten mit höheren Lohnabschlüssen auch Forderungen anderer Länder nach. Deren Vorwurf: Deutschland wirtschafte durch seine Exportstärke auf Kosten der anderen Länder und mache zu wenig für die Stärkung der Inlandsnachfrage – und damit für Absatzchancen anderer Staaten.

Die Lohnsteigerungen trügen daher auch zum Abbau von Ungleichgewichten innerhalb Europas bei, ergänzte Schäuble. Zugleich warnte er jedoch vor Übertreibungen. „Das rechte Maß müssen wir wahren.“

Zu der Einsicht, dass die Ungleichgewichte in Europa etwas mit der deutschen Lohnpolitik der letzten Jahre zu tun haben, gesellt sich dennoch der seit jeher ins Feld geführte Leitspruch vom Maßhalten. Dabei ist ein Gleichgewicht nur durch die Umkehr des Ungleichgewichts auf mittelfristige Sicht herstellbar. Deutschland dürfte also nicht Maßhalten, sondern müsste bei den Lohnabschlüssen übertreiben und selbst Defizite hinnehmen, um die Verzerrungen beim europäischen Binnenhandel auflösen zu können.

Das zeigt im Prinzip ganz klar, dass die deutsche Regierung in Sachen Volkswirtschaft nicht etwa völlig doof agiert, sondern knallhart kalkuliert, um die eigenen Wettbewerbsvorteile im Interesse der Exportindustrie ja nicht aus der Hand geben zu müssen. Den deutschen Monetaristen sind die Zusammenhänge durchaus bewusst, sie wissen also, dass die Überschüsse der Bundesrepublik die Defizite der Südeuropäer provoziert haben. Nur ändern wollen sie daran nichts. Vor einiger Zeit hatte sich die Bundesregierung noch erfolgreich dagegen gewehrt, für seine permanenten Außenhandelsüberschüsse als Störer des europäischen Gleichgewichts zur Rechenschaft gezogen zu werden. Auf der anderen Seite dürfen aber Defizitsünder mit der vollen Härte der europäischen Fiskalpaktierer rechnen.

Von Tarifabschlüssen profitieren immer weniger

Wenn sich die Tarifparteien in Deutschland nun irgendwo in der Mitte treffen und einen Abschluss auf die Reihe kriegen, kommt vielleicht wie beim öffentlichen Dienst ein Ergebnis für die Beschäftigten heraus, welches die erlittenen Einkommensverluste der letzten Jahre, in denen auch immer Lohnzurückhaltung gepredigt wurde, kaum auszugleichen vermag. Gewonnen hätte man damit aber nichts und gar ein Beitrag zum Abbau der Handelsungleichgewichte geleistet auch nicht. Zudem profitieren immer weniger Menschen von Tarifverträgen.

Die meisten Arbeitnehmer sind in Unternehmen beschäftigt, die für den Binnenmarkt produzieren oder Dienstleistungen anbieten. Vergleichsweise gute und hohe Löhne werden dort aber nicht gezahlt, sondern vor allem in den exportabhängigen Branchen, die ihrerseits immer stärker auf das tolle Modell Leiharbeit setzen wollen. Gerade für Exportunternehmen im verarbeitenden Gewerbe hat sich die Leiharbeit im großen Krisenjahr 2009 mehr als gelohnt. Nie war es einfacher und bequemer, Beschäftigte bei einem Einbruch der weltweiten Nachfrage loszuwerden.

Außerdem half die großzügige Kurzarbeiterregelung der Bundesregierung (6 Mrd. Euro Kosten für die Bundesagentur in 2009) ebenfalls den Unternehmen. Denn die rund 1,1 Millionen Kurzarbeiter mussten auf gut 3 Mrd. Euro Gehalt verzichten. Es ist kaum anzunehmen, dass diese Einbußen aus vergangenen Jahren, in denen Deutschland laut Schäuble so gut durch die Krise gekommen sei, weil es seine Hausaufgaben ordentlich gemacht habe, nun durch die Gewerkschaften wieder herausgehandelt werden.

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Merkel im Sendehaus des NDR

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Ich war die letzten Tage durch eine Mittelohrentzündung kombiniert mit einem fiesen Husten außer Gefecht gesetzt und habe jetzt erst rund 135 aufgelaufene Mails checken können. Es kann also noch etwas dauern, bis hier wieder mehr Beiträge erscheinen. An das letzte woran ich mich erinnern kann, ist ein Interview von Angela Merkel bei NDR-Info. Vielleicht war das ja der Auslöser für die schmerzhafte Entzündung des Gehörgangs.

In dem Interview äußerte sich die Volkskanzlerin auch zu ihrer Krisenbewältigungsstrategie. Die lässt sich auf die Formel bringen, Solidarität nur gegen Bedingungen (Solidarität gibt’s nur im Austausch für Solidität). Der angestrebte Fiskalpakt sei dabei eine notwendige, aber noch nicht ausreichende Maßgabe, um Wohlstand für die Menschen zu bekommen. Natürlich, so die Kanzlerin, dürfe das Wachstum als “zweite Säule” nicht aus den Augen verloren werden. Dies könne aber nicht nur durch staatliche Konjunkturprogramme, sondern vor allem durch Strukturreformen erzeugt werden.

„Wachstum kostet eben nicht immer Geld, wenn ich eine Rentenreform oder Arbeitsmarktreform mache wie wir mit der Agenda 2010. […] Durch die Hartz IV Reform haben wir heute mehr Menschen in Arbeit, als je zuvor. […] Das alles hat Deutschland kein Geld gekostet, aber sehr geholfen. […] Ich habe als deutsche Bundeskanzlerin darauf gedrängt, Wachstumsfragen zum Thema zu machen. […] Aber ich sage noch einmal, nicht nur Wachstum durch Konjunkturprogramme, sondern auch Wachstum durch Strukturreformen.“

In diesem Interview zeigte die deutsche Bundeskanzlerin ihr marktkonformes Zerrbild einer für sie erstrebenswerten europäischen Zukunft. Kennzeichnend dafür sind Zynismus und Ignoranz, die sich in den Worten Merkels verbergen, wenn sie beiläufig darüber spricht, dass die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes auch zu Lohndumping geführt habe, einem bedauerlichen Problem, dem man sich ja nun (nach sieben Jahren und einem Verfassungsgerichtsurteil zur Berechnung der Regelsätze) annehme. Dafür und für ihren halbkaltherzigen Vorschlag, einen Mindestlohn einführen zu wollen, wenn die Tarifpartner sich irgendwie einigen, sollte man ihr wohl noch dankbar sein.

Interessant waren in diesem Zusammenhang auch die Ergebnisse der ILO-Studie (Internationale Arbeitsorganisation), die den angeblich so nützlichen und Wachstum fördernden Strukturreformen eine zerstörerische Wirkung attestieren. 

„Die Strategie des Sparens und Regulierens sollte zu mehr Wachstum führen, was jedoch nicht geschieht“, sagte der ILO-Direktor für internationale Arbeitsmarktstudien und Hauptautor des Berichts, Raymond Torres, in Genf. Die Spar-Strategie sei damit „kontraproduktiv“ gewesen. Torres bescheinigte den EU-Staaten, „wenig durchdachte“ Sparprogramme aufgelegt zu haben. Als Beispiel nannte er Spanien, wo das Haushaltsdefizit trotz drastischer Einsparungen nur von gut neun Prozent im Jahr 2010 auf 8,5 Prozent 2011 gesunken sei.

Quelle: Stern Online

Den Deutschen werfen die Arbeitsmarktexperten vor allem vor, ihr Jobwunder auf atypischer und unsicherer Beschäftigung aufzubauen (Minijobs und Leiharbeit). Das wurde zunächst auch kritisch als Botschaft durch die Medien am Morgen verbreitet. Am Mittag hieß es aber schon, dass sich das Beschäftigungswachstum in Deutschland, laut der Studie, auf einem hohen Niveau befinde und schon war die neoliberale Welt der marktkonformen Demokratie samt ihrer Lohnschreiber wieder in Ordnung. Immerhin wurde noch im Abspann erwähnt, dass Deutschland höhere Reallöhne benötige. Aber wer hört da noch so genau hin?

Toll wäre es also gewesen, die Kanzlerin in einem Interview mit der Wirklichkeit ihrer eigenen Politik oder die, die sie für nachträglich richtig hält, zu konfrontieren,  um ihr unpassendes Loblied darauf mit den Worten “kontraproduktiv” und “wenig durchdacht” zu quittieren. Doch NDR Info Programmchefin und NDR Hörfunk Chefredakteurin Claudia Spiewak tat das nicht. Statt Merkel bezeichnete sie lieber den französischen Präsidentschaftskandidaten Hollande als jemanden, der “große Töne spuckt”. Vielleicht wollte sie der geistigen Luftpumpe Merkel, die ohne Rücksicht auf demokratische Gepflogenheiten in den französischen Wahlkampf eingriff, damit auch nur gefallen. Schließlich kommt die Staatsratsvorsitzende ja nicht oft zum Gespräch im Sendehaus des NDR vorbei.   

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