Glosse: Bild blockiert Diäten-Erhöhung

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Überraschende Ankündigung dient offenbar der Verbesserung des angeschlagenen Images.

Das Boulevard-Blatt Bild blockiert die bereits durch den Bundestag beschlossene Diäten-Erhöhung. Wie das Gesicht der Zeitung Joachim Gauck (Yes, We Gauck) heute verkünden ließ, soll das Gesetz erst einmal nicht unterzeichnet werden. Bild erhofft sich dadurch eine Verbesserung des eigenen Images. Das hatte zuletzt unter dem Vorwurf der Kriegshetze arg gelitten.

Wie bei der Aufstellung der DFB-Auswahl, ist auch bei der Bezahlung von Abgeordneten die Zustimmung von Bild grundsätzlich erforderlich. Dabei bedient sich das Blatt eines bewährten Tricks, um von sich selbst abzulenken. “Spitzen-Juristen” im Bundespräsidialamt seien mit der Prüfung des Gesetzes beauftragt und hätten Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit geäußert. 

Konstruierte Gründe sind: Jede Diäten-Erhöhung müsse öffentlich beschlossen werden. Mit dem neuen Gesetz wäre das aber nicht mehr der Fall, da hier ein Automatismus zum Tragen komme, welcher sich an der Entwicklung der Löhne und Gehälter von Normalbürgern orientiere. Die “Spitzen-Juristen” haben aber noch ein weiteres Detail entdeckt, und zwar die grundgesetzlich verankerte Unabhängigkeit der Abgeordneten.

Die sei durch das Gesetz gefährdet, da es die bisherige Parlamentsordnung völlig auf den Kopf stellen würde. Jeder wisse schließlich, dass der Abgeordnete frei und unabhängig entscheiden können muss, wie das etwa beim Umgang mit Lobbyisten oder bei der Auswahl von Arbeitgebern, für die er Nebentätigkeiten ausübt, üblich ist.

Wie lange Bild die Blockade aufrecht erhalten will, ist noch unklar. Das hängt offenbar von der “genauen” Prüfung der “Spitzen-Juristen” ab, die bei anderen Gesetzen, wie beispielsweise dem Euro-Rettungsfonds ESM, dem Fiskalpakt oder der Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht erforderlich war. Dieses Gesetzespaket wollte Bild-Sprecher Gauck bereits unmittelbar nach Verabschiedung im Bundestag unterzeichnen, wurde seinerzeit aber vom Bundesverfassungsgericht, das mehrere Klagen prüfte, vorsorglich eingebremst.


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Glosse: Westerwelle greift wieder an

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Guido Westerwelle hat seine zweijährige Auslandsreise beendet und mischt nun innenpolitisch wieder mit. Er kritisiert die Union in der Homo-Debatte als rückständig und äußerte sich enttäuscht über den Kurs des Koalitionspartners. Deutschland sollte nicht länger im Bremserhaus sitzen und sich ein Beispiel an anderen europäischen Ländern nehmen, in denen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare längst vollzogen sei. „Wenn die Gesellschaft weiter ist als eine Partei, dann ist das nicht die Schuld der Gesellschaft“, meint Westerwelle.

Folglich sei es auch nur konsequent endlich den Mindestlohn einzuführen, der bei Deutschlands Nachbarn neben der homosexuellen Gleichstellung längst zur Normalität gehöre. Hierzulande sind sogar über 70 Prozent der FDP-Wähler für einen Mindestlohn, also die verbliebenen Parteimitglieder schon auf Augenhöhe mit der Gesellschaft. Westerwelle will daher wieder angreifen und neben dem „Gesicht“ der Liberalen, Rainer Brüderle, frische inhaltliche Ideen liefern. Denn während seiner Abwesenheit haben sich auch seine Umfragewerte von ihm erholt. Das müsse man nutzen, so der Ex-FDP-Chef. Parteichef Rösler bleibt übrigens Parteichef.

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Glosse: Unbehagen in den Südländern

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Die Europäische Zentralbank spielt mit dem Gedanken, aus der Gruppe der Euro-Retter auszusteigen. Damit steht das seit Jahren erfolgreich zusammenarbeitende Triumvirat aus Europäischer Kommission, IWF und EZB vor dem Aus. Eine Hiobsbotschaft mit fatalen Auswirkungen, die in den südeuropäischen Ländern wie zu erwarten für Unruhe sorgt.

In Spanien haben sich vor allem junge Menschen an spontanen Protestkundgebungen im Regierungsviertel beteiligt. Sie fürchten, ihre mühsam durch die Arbeit der Troika gewonnene Freizeit wieder verlieren zu können. Auf der iberischen Halbinsel steigt seit rund zwei Jahren die Jugendarbeitslosigkeit rapide an und liegt inzwischen bei rekordverdächtigen 55 Prozent. Das sei ein Erfolg, sagt ein 24-Jähriger Teilnehmer der Demonstration. „Sollte die EZB wirklich aussteigen und bestehende Auflagen gelockert werden, könnte das ja zu einem Wirtschaftsaufschwung führen, der den Menschen schadet“, äußert er sich entsetzt. Vor allem die Bediensteten im Staatsdienst, wie der Polizei, hätten dann nichts mehr zu tun, wenn plötzlich die jungen Leute wieder arbeiten gingen, anstatt sich vor dem Regierungsviertel mit den Beamten angeregt zu unterhalten. Der 24-Jährige spielt daher mit dem Gedanken, zum ersten Mal mit Steinen zu werfen, um seiner Wut Ausdruck zu verleihen. Er will deshalb seinen Namen nicht nennen.

Ähnlich sieht es in Griechenland aus, das noch sehr viel länger als Spanien von der Troika profitiert hat. „Erst hat man uns einen deutschen Sparkommissar versprochen und nun löst sich die Expertengruppe einfach auf. Unfassbar“, ärgert sich ein älterer Grieche auf dem Akropolis Hügel, der ehrenamtlich für die Troika arbeitet und gerade einen Kuckuck auf die Säulen des antiken Bauwerks klebt. Die Euro-Retter müssen an Bord bleiben, meint er.

In Brüssel will man von alldem nichts wissen. EU-Währungskommissar Rehn und Eurogruppenchef Dijsselbloem wiesen die Gedankenspiele als Meinungen einzelner EZB-Mitglieder am Rande eines Spitzentreffens zurück und versicherten, dass die Troika intakt bleibe, der Euro weiter geschützt werde und die Finanzmärkte auch künftig bestimmen, wo es lang geht.

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Glosse: Geschönte Arbeitsmarktdaten

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„Die Unterbeschäftigung stellt die gesamte Entlastung des Arbeitsmarktes durch den Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente dar“, heißt es in einem der aktuellen Arbeitsmarktberichte, die in den Bezirken verteilt werden. Wenn sie diesen Satz verstanden haben, hat er seinen Zweck verfehlt.

Herrschaftssprache lebt schließlich davon, dass der Leser über solche Passagen hinweg fliegt und sich denkt: Kann ich sowieso nicht mitreden. Würde da stehen, dass Arbeitslose aus politisch zweifelhaften Gründen einfach nicht mehr mitgezählt würden, sehe die Sache freilich anders aus, aber das kann nicht im Sinne derer sein, die an einem robusten Arbeitsmarkt interessiert sind. Über die Jahre haben Bundesregierung und die Agentur für Arbeit eine ganz eigene Zählweise etabliert.

Da ist es schon verwunderlich, warum neben den über 58-Jährigen, den Kranken und privat registrierten Arbeitslosen nicht auch die unter 30-Jährigen einfach aus der Statistik herausgerechnet werden. Schließlich ist bekannt, dass sich Vertreter dieser Spezies als Dauerpraktikanten und Überlebenskünstler einen Namen gemacht haben und selbst in Phasen, in denen sie keinen Arbeitgeber finden, der sie ausbeutet, genau wissen, wie sie sich produktiv beschäftigen und einbringen können. Die machen dann vielleicht mal eine Reise ins Ausland, weit weg von der Statistik, die auf sie aufpasst.

Dann wären da noch die Arbeitnehmer im Alter zwischen 30 und 58. Wenn die ihre Stelle aus stets nachvollziehbaren betrieblichen Entscheidungen verlieren, sind sie natürlich nicht arbeitslos, sondern ganz einfach mal „between jobs“. Das klingt nicht nur viel cooler, sondern rückt auch die trockene Statistik in ein noch glanzvolleres Licht. Schließlich hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank „Zähl“Weise im letzten Jahr schon gemeint, dass die Zahl der nicht weiter versteckbaren Arbeitslosen nicht ständig sinken könne. Da sind einfach mal neue Ideen gefragt.

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Deutschlandradio Kultur, eine Glosse von Tim Lang: "Das Leben ist eine Laufzeit"

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Die Glosse von Tim Lang lief vorhin auf Deutschlandradio Kultur. Ein sehr schöner Text über das aktuelle politische Geschehen. Sportlich aufgearbeitet sozusagen. Das sollte man gehört haben. Nicht nur weil alle politischen Irrlichter wie Merkel, zu Guttenberg, Westerwelle, Roland Koch und Thilo Sarrazin, ja sogar die Atom-Lobby drin vorkommen, sondern weil der Autor sich richtig Mühe gegeben hat, einen Radiobeitrag zu machen, bei dem man nicht gleich nach zehn Sekunden gedanklich abschaltet.

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