Neubildung bleibt aus

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In Frankreich wird die Regierung neu gebildet, in Deutschland bleibt alles beim alten: Keine Bildung.

Auch heute sprudeln dogmatische Glaubenssätze aus den Kommentarspalten deutscher Zeitungen. In jedem Fall sei es richtig, dass sich Hollande, der nach übereinstimmender Meinung ein gescheiterter Präsident sei, richtig entschieden und sich des aufmüpfigen linken Wirtschaftsministers Montebourg entledigt habe. Wirtschaftspolitischen Sachverstand sucht man in den meisten Texten allerdings vergebens.

Frankreich stecke in einer tiefen Wirtschaftskrise, aus der es sich nur mit einer entschieden umgesetzten Reform-Agenda nach deutschem Vorbild befreien könne. Deutsche Kommentatoren erteilen da gerne Ratschläge und wissen wenig. So ist niemandem aufgefallen, dass die französische Nationalversammlung bereits im April diesen Jahres ein Stabilitätsprogramm verabschiedete, das weit über den Inhalt der deutschen Agenda 2010 hinausgeht.

Ein Sparplan, der 50 Milliarden Euro bringen soll. Er sieht vor, Beamtengehälter und zahlreiche Sozialleistungen bis 2017 einzufrieren. Hollande kopiert längst die dogmatische Politik Deutschlands und sucht sich jetzt nur noch das passende Personal dafür. Die Abgeordneten versagen ihm immer häufiger die Gefolgschaft. Sie sagen zurecht, dass sie für diesen politischen Kurs nicht gewählt worden sind.

Deutsche Medien interessieren die politischen Verhältnisse aber nicht. Sie faseln von Versprechungen im Wahlkampf, die unter den Bedingungen des Sachzwanges nicht mehr eingelöst werden können. Richtig sei, was aus ihrer Sicht notwendig um nicht zu sagen alternativlos ist und nicht, was die Mehrheit sich wünscht. Wo kämen wir auch hin, wenn der Souverän per Wahl die politische Richtung mitbestimmen könne.

Dass es auch vernünftige Stimmen im rauschenden Blätterwald gibt, beweist einmal mehr Ulrike Herrmann von der taz. Sie sagt klar: „Frankreich braucht keine Agenda 2010“. Die Autorin erklärt auch warum. Damit hat sie schon mehr geleistet als jene Kommentatoren, die umgekehrt stumpfsinnige Reformen fordern, auf eine nachvollziehbare Begründung aber verzichten.


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Jubel in Leipzig und in Kassel

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Heute feiert die Sozialdemokratie ihren 150. Geburtstag und ein im Mai 2007 geborener Kläger vor dem Bundessozialgericht einen Erfolg, der ohne die SPD nicht denkbar wäre. Dem inzwischen Sechsjährigen steht nämlich ein Jugendbett als Erstausstattung im Rahmen der in Leipzig noch einmal ausdrücklich von allen Seiten gelobten Hartz-IV-Gesetzgebung zu. Allerdings ist noch nicht klar, ob auch die Anschaffungskosten in Höhe von 272 Euro angemessen sind. Denn das muss nun jenes Sozialgericht entscheiden, das dem jungen Kläger zuvor die Bewilligung von Leistungen für ein “Jugendbett” mit Lattenrost auf Grundlage der in Leipzig noch einmal von allen Seiten so gelobten Hartz-IV-Gesetzgebung rechtswidrig versagt hatte.

Beim Festakt im Leipziger Gewandhaus spielen solche in der Sache und Juristerei widersprüchlichen Einzelschicksale freilich keine Rolle. Der 150. Geburtstag der “alten Tante” SPD wurde wie erwartet dafür missbraucht, um ein weiteres Mal die krachend gescheiterte Agenda-Politik als bahnbrechenden Erfolg zu würdigen.

SPD_150_Neu

Hier ziehen der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel und dessen heimliche Kanzlerkandidatin, die in Leipzig ganz selbstverständlich neben ihm in der ersten Reihe Platz genommen hatte, an einem Strang. Denn was der ganz links im Bild abgeschnittene Altkanzler Schröder begann, setzt Angela Merkel mit Hilfe von lauter Sozialdemokraten um sie herum in Europa und Deutschland auf brutale Weise weiter um. Sie alle wissen, was angemessen ist für Europa, Deutschland und vor dem Sozialgericht klagende Windelträger, die bis zu einer richterlichen Entscheidung längst aus Betten und knappen Regelsätzen hinaus- und in die von der SPD zu verantwortende Armut dauerhaft hineingewachsen sind.

Es braucht offensichtlich drei Jahre und mehrere Gerichte, um festzustellen:

Der Bedarf nach einem neuen Bett sei lediglich wegen des Wachsens des Klägers entstanden.

In diesem von Richtern formulierten einfachen und für jeden verständlichen Satz drückt sich der unbeschreibliche Erfolg der von allen Seiten so gelobten und einzig noch lebenden Agenda-Reform aus. Dafür hat die SPD 150 Jahre gekämpft. Chapeau.

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Aber die Überzeugung stimmt

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Der Parteitag der Grünen hat einiges an Erkenntnissen gebracht. Unter anderem die, dass die Ausweitung des Niedriglohnsektors nicht zu dem erhofften Wohlstand geführt hat. Aber hören sie selbst.

Katrin Göring-Eckardt ist von mehreren Überzeugungen überzeugt.

Ja leider haben die Minijobs keine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt schlagen können. Wie auch, wenn das erklärte Ziel der Regierung Schröder nicht die Schaffung von regulärer, sondern atypischer Beschäftigung war, um so die neoliberale Forderung nach einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu erfüllen.

“Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. […] Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut”

Gerhard Schröder, World Economic Forum in Davos, 28.01.2005

Wenigstens haben es die Grünen versucht und schon nach zehn Jahren festgestellt, dass die Politik, die sie mit zu verantworten haben, leider misslungen ist. Aber die Überzeugung stimmt und das ist es doch, was zählt. Alles weitere zum Parteitag der Grünen hat Volker Pispers zusammengefasst. Er spricht unter anderem über den Schulterschluss der Grünen mit dem natürlichen Partner SPD. Der Wähler liebt ja geschlossene Reihen, weil er dann nicht sehen muss, was dahinter liegt.

Volker Pispers über den Schulterschluss
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Die SPD lässt sich von Parteifreunden feiern

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Gerhard Schröder und die aktuelle SPD-Spitze lassen sich von richtigen Parteifreunden wie Merkel und Stoiber für die Agenda 2010 feiern. Von den ehemaligen SPD-Wählern und Partei-Anhängern ist bekanntlich auch niemand mehr übrig geblieben. Die haben die Segnungen der „Reformen“ ja trotz der ständigen Erklärungsversuche nicht verstanden. Für die restlichen Sozialdemokraten ist es offenbar nicht weiter verwunderlich, dass außer den Konservativen niemand für die Agenda 2010 Beifall klatscht, geschweige denn sie für einen Erfolg hält.

Zur besten Sendezeit in der Tagesschau um acht gab es dann heute auch surreale Bilder zu sehen, für die eigentlich keiner in der SPD Wahlkampfzentrale dankbar sein kann. Edmund Stoiber säuselte auf dem Podium herum. Er sagte sinngemäß, dass, wenn er damals 2002 Kanzler geworden wäre, niemals die tollen „Reformen“ hätte durchsetzen können, weil es dann nicht nur Montagsdemonstrationen gegeben hätte. Erhellend dürfte auch der Abschlusssatz für viele Zuschauer gewesen sein.

„Von SPD und Union ist man sich einig, dass die Agenda weiterentwickelt werden muss. Über die Richtungen werden die Parteien im Wahlkampf streiten.“

Der Wähler darf also über eine Richtung entscheiden, obwohl das Ziel, die weitere Demontage des Sozialstaates sowohl bei SPD und Union bereits feststeht. Vielleicht schafft es die SPD ja wieder an der Seite der Union als Juniorpartner all diese Segnungen umsetzen und vertreten zu dürfen.

Hier gibt’s den Bericht zum nachsehen.
http://www.tagesschau.de/multimedia/video/ondemand100~_id-video1279442.html

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Angriff auf die Reste des Sozialstaats

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Es ist erstaunlich, mit welcher Wucht eine gesteuerte PR-Kampagne der von den Arbeitgebern finanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) mal wieder eingeschlagen hat. Da heißt es bei Spiegel Online, “Top-Ökonomen beklagen Reformstau in Deutschland” und die Tagesschau-Redaktion fragt dümmlich “Kommt jetzt die “Agenda 2020”? Zehn Jahre Agenda 2010 locken die Voodoo-Ökonomen erneut hinter dem Ofen hervor. Gemeinsam blasen sie zum Angriff auf die Reste des Sozialstaats.

Dabei versucht die Arbeitgeber-Lobby mit namhaften Politikern wie Kanzler a.D. Schröder, Steinmeier, Steinbrück und Gabriel (die SPD ist wirklich so bescheuert, sich für diesen Blödsinn wieder einspannen zu lassen) und “Experten” wie Christoph Schmidt, Klaus Zimmermann und Thomas Straubhaar eine neue Agenda 2020 ins Gespräch zu bringen. Die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Rente mit 70 und eine höhere Beteiligung an den Gesundheitskosten werden da als dringende Aufgaben benannt und die bisher gescheiterte “Reformpolitik” als großer Erfolg gefeiert.

Die Widersprüche fallen niemanden weiter auf. Bei der Rente mit 67 etwa sei das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Die Menschen würden immer älter und das bei zunehmender Gesundheit, schwätzt beispielsweise der Vorsitzende des Sachverständigenrates Christoph Schmidt daher. Gleichzeitig fordert er aber eine stärkere Beteiligung der Menschen an den Kosten der Krankenkassen. Außerdem scheinen dem “Top-Ökonomen” die niedrigen Beschäftigungsquoten Älterer gänzlich unbekannt.

Beschäftigungsquoten

Quelle: Sozialpolitik aktuell

Klaus Zimmermann, früher mal Chef des DIW, jetzt Direktor des IZA warnt gar vor einem demografischen Chaos, obwohl keine Statistik diese Demagogie auch nur im Ansatz bestätigen könnte. Das Gegenteil ist richtig. Der demografische Alarmismus war von Anfang an unbegründet. Derzeit nimmt die Bevölkerungszahl in Deutschland wieder zu (siehe auch: destatis). Zimmermann selbst fiel, bevor er das DIW verließ, mit einer Forderung nach einer Lohnpause für Arbeitnehmer auf. Gleichzeitig empfahl er der Politik, die Mehrwertsteuer auf 25 Prozent zu erhöhen. Schade, dass seine Sprechpause schon vorüber ist.

Bleibt Thomas Straubhaar, der Wendehals unter den “Top-Ökonomen”. Er rät plötzlich zu einer Fortsetzung der Agenda-Politik, nachdem er im vergangenen Jahr noch von einer Umkehr im ökonomischen Denken sprach. Doch nun heißt es wie eh und je, weiter so! Denn Hartz IV Empfänger hätten kaum finanzielle Anreize, ihre Erwerbslosigkeit zu verlassen, so die Studie der INSM. Auch hier scheinen die “Top-Ökonomen” nicht zu wissen, dass 2,398 Millionen von insgesamt 4,422 Millionen ALG-II-Beziehern (Arbeitsmarktdaten Februar) offiziell nicht als arbeitslos gelten, weil sie zum Teil in Mini- und Midi-Jobs arbeiten, um ihre kärglichen Löhne anschließend vom Jobcenter aufstocken zu lassen. Zuletzt wurde sogar bekannt, dass immer mehr Arbeitslosengeld I Empfänger zusätzlich Hartz-IV beantragen müssen.

Fehlt zum Schluss eigentlich nur der SPD-Kanzlerkandidat, Fettnäpfchen Peer Steinbrück. Er meint angesichts des hanebüchenen Lobbyistengewäschs: “Wir sind Deppen, dass wir die Agenda immer mit Hartz IV gleichgesetzt haben.” Die SPD hätte nur selbstbewusster und stolzer mit der Agenda 2010 umgehen müssen. Seit 2003 tun die Sozialdemokraten allerdings nichts anderes, als den ökonomischen Unsinn stolz und selbstbewusst vor sich herzutragen. Doch was hat es der SPD gebracht? Eine Wahlniederlage nach der anderen. Nun muss sie also noch stolzer und noch selbstbewusster die Segnungen der Agenda vertreten, um verlorene Wählerstimmen zurückerobern zu können?

Kein Wunder, dass eine Frau von der Leyen nach so einer Vorlage die passende Pointe setzen darf. Die Reformschritte des damaligen SPD-Kanzlers Gerhard Schröder seien im Grundsatz “mutig und richtig” gewesen.

“Allerdings mussten wir deutlich nacharbeiten und die Agenda 2010 sozialer machen.”

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Absurde Konsumpropaganda geht weiter

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Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) macht weiter Stimmung. Der äußerst dubiose Konsumklimaindex, der angeblich Anschaffungsneigung, Einkommenserwartungen und Konjunkturaussichten, kurz Kauflaune, zusammen abbildet, ist im Vergleich zum Vormonat um sage und schreibe 0,1 Punkte gestiegen. Grund genug, um ein mediales Feuerwerk nach dem Motto “Shoppen statt sparen” abzubrennen.

Fast jede Nachrichtensendung ist die Kaffeesatzleserei der GfK eine Meldung wert. Gleichzeitig wird unentwegt der Eindruck erweckt, als gäbe es jenen Konsum, der von dem Index bloß in Aussicht gestellt wird. Sie müssen sich das oben verlinkte Interview der Tagesschau-Redaktion mit Rolf Bürkl, der bei der GfK für diese regelmäßig stattfindende Datenmistproduktion verantwortlich ist, durchlesen. Während zu Beginn noch scheinheilig danach gefragt wird, wie eingetrübte Konjunkturaussichten zu einer steigenden Kauflaune passen würden, dreht sich der Rest des Interviews um die Beschreibung eines nichtvorhandenen Zustands.

Realitätsfremd könnte man diesen Vorgang bezeichnen. Leider bleibt er unentdeckt, wie auch die offensichtliche Manipulationsabsicht des Volkswirtes von der GfK. Auf die Frage, zu welchen werthaltigen Anschaffungen die Menschen neigen würden, antwortet Bürkl: “Das beginnt mit Immobilien,…” Nur zählt der Kauf von Immobilien volkswirtschaftlich betrachtet nicht zu den privaten Konsum-, sondern zu den Investitionsausgaben. Noch abenteuerlicher wird es weiter unten bei der Feststellung, dass ein neues Krisenphänomen zu beobachten sei.

“In früheren Krisen haben wir bei Wirtschaftsabschwüngen stets eine andere Entwicklung festgestellt: Wenn die Konjunktur nachließ, ging sofort die Konsumneigung zurück und die Verbraucher hielten ihr Geld zusammen.

Momentan ist es so, dass Sparen aus Sicht der Verbraucher nicht attraktiv und mit Unsicherheiten behaftet ist.”

Durch was ist diese Behauptung gedeckt? Laut statistischem Bundesamt lag die Sparquote im ersten Quartal 2012 bei 14,4 Prozent unverändert hoch. Wirklich lächerlich wird das Ganze aber bei der Feststellung, dass ein gutes Zusammenspiel von Politik, Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den Krisenjahren 2008 und 2009 mit dem Verzicht auf übermäßige Lohnerhöhungen die Grundlage für die derzeit gute Konsumstimmung gebildet habe. Natürlich darf der Hinweis auf die Agenda 2010 nicht fehlen, die ebenfalls zum positiven Gesamtbild beigetragen hätte und nicht etwa, wie wir heute einer Meldung des statistischen Bundesamtes entnehmen konnten, zu einem Herr von Beschäftigten geführt hat, die mit konsumfreudigen Stundenlöhnen von weniger als 8,50 Euro auskommen müssen.

Und dabei haben die amtlichen Statistiker nur jene erfasst, die in Betrieben mit zehn oder mehr Beschäftigten arbeiten. Würde man alle zählen, läge die Quote nicht nur bei 11 Prozent, was rund 4,5 Millionen Beschäftigten entspricht, sondern bei weit über 20 Prozent. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors hatte zuletzt sogar SPD-Chef Sigmar Gabriel als Fehler bei der Agenda 2010 bezeichnet und dabei mal wieder übersehen, dass darin überhaupt der Sinn der ganzen Übung gelegen hat, wie Bundeskanzler Schröder einst vor Gleichgesinnten auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos stolz zugab.

Was die GfK da misst, ist mir schleierhaft und in höchstem Maße unseriös, weil der Bezug zur Wirklichkeit nicht mal im Ansatz erkennbar ist. Wenn es dann ganz am Schluss heißt:

“Sollten sich in den nächsten Monaten die Meldungen häufen, dass Unternehmen Personal entlassen, dann kann die Stimmung sehr schnell wieder kippen. Dann steigt sofort die Angst vor der Arbeitslosigkeit bei den Beschäftigten und man wird beim Konsum wieder vorsichtiger.”

Hier wird a) ignoriert, dass mit Karstadt, Schlecker und Neckermann gerade Unternehmen aus dem Einzelhandelssektor jetzt schon für die entsprechenden Schlagzeilen sorgen und b) wieder so getan, als seien die Konsumenten derzeit nicht vorsichtig beim Geldausgeben. Offensichtlich muss man GfK-Ökonomen eine noch größere Betriebsblindheit und Inkompetenz unterstellen als bisher. Der XXL-Konsumboom bleibt auch weiterhin nur eine Propaganda-Fata Morgana.

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Einfach nur besser erklären?

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Die Posse um das Meldegesetz kommt zur rechten Zeit. Heute verhandeln die Bundesrichter in Karlsruhe über Eilanträge gegen den ESM und den Fiskalpakt. Ausgang offen. Gleichzeitig wird Bundespräsident Joachim Gauck vielbeachtet mit jenem Satz zitiert, der einst auch die Agenda 2010 rechtfertigte. Demnach müssten die politisch Verantwortlichen ihren Angriff auf Grundrechte und Verfassung einfach nur besser erklären. Für Gauck, der scheinbar selbstkritisch zugab, mit seinem wohlwollenden Urteil über die Finanzmarktpolitik der Bundesregierung etwas vorschnell gewesen zu sein, hält das Vorgehen der Regierung dem Grundsatz nach aber immer noch für richtig. Frau Merkel müsse ihr Handeln halt nur besser erklären.

Mit diesem präsidialen Auftrag versehen, wird dann auch niemand mehr darauf achten oder danach fragen, ob die Krisenpolitik überhaupt richtig ist. Deren Scheitern ist ja empirisch leichter zu belegen, als der Versuch Merkels Sprechblasen zu verstehen.

Mehr zu diesem Vorgang auf den NachDenkSeiten:

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ZählWeise

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Die Zahl der in der Statistik nicht weiter versteckbaren Arbeitslosen ist gesunken. Der Chef der Bundesagentur Weise hat die Grenzen der über die Jahre mehrfach angepassten Erfassungsmethode erkannt und spricht inzwischen von einer guten Grundtendenz, die sich abschwäche.  

„Wir können nicht erwarten, dass die Zahl der Arbeitslosen permanent sinkt und die Zahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze stark steigt.“

Soll heißen, dass sich die Politik wieder etwas einfallen lassen muss, um die Statistik weiter zu schönen. Unter der Führung der SPD hat das Arbeitsministerium im Jahr 2009 die Bundesagentur zum Beispiel angewiesen, jene Erwerbslosen nicht mehr mitzuzählen, die von einem privaten Arbeitsvermittler betreut werden. Darüber hinaus zählen Kranke, Ein-Euro-Jobber, Teilnehmer an Weiterbildungen und viele Arbeitslose, die älter als 58 Jahre sind, ebenfalls nicht mehr dazu.

Solche Vorschläge zur richtigen Zählweise braucht es jetzt wieder, stattdessen beklagt sich der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende und Agenda 2010 Befürworter Hubertus Heil darüber, dass sich viele Menschen ohne anständige Bezahlung und ohne ausreichende soziale Sicherheit in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden würden.

Nur gut, dass Bundeskanzler Schröder auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos (2005) die Aussage, „Wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt”, offensichtlich nicht so ernst gemeint hat.

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Weihnachtsbotschaften

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Wie hätte wohl eine Bundespräsidentin Ursula von der Leyen ihre Weihnachtsansprache gestaltet? Sie hätte in jedem Fall auch gestanden, wie vor gut zwei Monaten, als sie ihre ganz speziellen Arbeitslosenzahlen noch vor allen anderen verkündete und meinte, dass es sich hierbei um einen großen Erfolg der Regierung Merkel handeln würde. Oder können sie sich noch an die Zeit erinnern, als von der Leyen Bundesfamilienministerin war und sich zur Schirmherrin der Tafeln kühren ließ? Damals sprach sie ebenfalls stehend genau denselben Mist in die Mikrofone wie der aktuelle Bundespräsidentenversuch Wulff, der meinte, dass es Menschen bräuchte, denen Menschlichkeit wichtig sei.

von der Leyen (2006)

„Für mich ist einer der Schlüsselbegriffe für die Zukunft unseres Landes die Verantwortung – das heißt auch Verantwortung für die Menschen, die Hilfe benötigen. Eine Zivilgesellschaft muss in der Lage sein, gemeinschaftliche Fürsorge aktiv wahrzunehmen. Dafür ist die Tafel-Bewegung ein Musterbeispiel. Eine einfache und gute Idee wird zielstrebig und konsequent umgesetzt. Diese Erfolgsgeschichte zeigt, dass unsere Zivilgesellschaft funktioniert. Wir sehen, wie viele Menschen bereit sind, sich für Andere einzusetzen und uneigennützig zu helfen.“

Quelle: Bundesfamilienministerium (BMFSFJ)

Wulff (Weihnachten 2010)

„Der Staat kann im Rahmen seiner Möglichkeiten Menschen in Not finanziell unterstützen. Aber jemandem Mut zusprechen, jemandem auf die Schulter klopfen, jemandem die Hand reichen: Dafür braucht es Menschen, für die Menschlichkeit wichtig ist.“

Quelle: Bundespräsidialamt

Dumm nur, dass weder der stehende Wulff noch die stehende Frau von der Leyen mit ihren Einschätzungen auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen. Denn wie das Bundesverfassungsgericht zu Beginn dieses Jahres unmissverständlich feststellte, dürfe sich der Staat nicht einfach aus seiner Verantwortung stehlen und darauf verweisen, dass es schließlich so etwas wie ein zivilgesellschaftliches oder ehrenamtliches Engagement gäbe, welches den Bedürftigen helfen würde.

„Ein Hilfebedürftiger darf nicht auf freiwillige Leistungen des Staates oder Dritter verwiesen werden, deren Erbringung nicht durch ein subjektives Recht des Hilfebedürftigen gewährleistet ist.“

Quelle: BverfG

Statt an den Zusammenhalt einer Gesellschaft zu appellieren, der sich auf privatwirtschaftliches Engagement stützen soll und gegen das die Bedürftigen dann keine einklagbaren Rechte mehr besitzen, hätte spätestens Herr Wulff den Spruch der Richter zu Hartz IV genauer kennen können, um dann zu fordern, dass der Staat eben nicht nur im Rahmen seiner Möglichkeiten den Bedürftigen helfen könne, sondern verpflichtet sei, Bedürftigen so zu helfen, dass deren Grundrechte nicht verletzt werden.

So hätte sich Herr Wulff statt ehrenamtlichen Helfern Sozialleistungsempfänger, also Opfer einer politisch vorangetriebenen Spaltung der Gesellschaft, einladen sollen, um sich bei diesen Menschen zu entschuldigen, dass sie seit Einführung der Agenda 2010 unter einem verfassungswidrigen Zustand zu leben haben und eine dauerhafte Verletzung ihrer Grundrechte hinnehmen müssen, die auch zum 1. Januar 2011 noch Bestand haben wird, weil die derzeitige Bundesministerin für Arbeit und Soziales und Beinahe-Präsidentin Ursula von der Leyen noch immer nicht verstanden hat, worum es bei dem in der Verfassung verankerten Sozialstaatsgebot eigentlich geht.

Sie wolle mit der SPD im Vermittlungsausschuss nicht um die Höhe des künftigen Regelsatzes „feilschen“, heißt es heute in einer Sonntagszeitung. Mit solchen Botschaften heizt die ehemalige Schirmherrin der Tafeln und erklärte Botschafterin für zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt die Spaltung innerhalb der Gesellschaft weiter an. Denn es nimmt nicht nur die Aggression und die Abneigung gegen Sozialleistungsempfänger sprunghaft zu, sondern auch die Bereitschaft der noch Bessergestellten rapide ab, Bedürftigen überhaupt zu helfen. Auch da ist Deutschland unter den großen Volkswirtschaften der Welt inzwischen spitze oder Schlusslicht, je nach dem wie herum man das betrachten will.

Wie gut, dass es da mit dem „ProChrist“ Christian Wulff einen Bundespräsidenten gibt, der wie ein Prediger in der Kirche einfach Realitäten auszublenden vermag und daran glaubt, dass ein Schulterklopfen genügt, um die soziale Schieflage in diesem Land, dessen Existenz er gar vermeidet anzusprechen, zu beseitigen.

„Von Weihnachten geht die Botschaft des Friedens und der Zuversicht aus. Was vor 2000 Jahren auf den Feldern von Bethlehem als Gruß der Engel an die Hirten erklang, das ersehnen wir uns auch heute: Friede auf Erden.“

Und seit 2000 Jahren besteht der elendige und nie aufgeklärte Widerspruch zwischen dem angeblich gerechten und zärtlichen Gott und dem Schrecken ewiger Qualen. Von wegen Friede auf Erden. Ein Bundespräsident, der nach Aufklärung, Revolutionen und Säkularisierung den fragmentarischen Rest einer christlichen Religion widerbeleben will und so tut, als könne Gott eine Antwort geben, während aktuell die schwarz-gelbe Koalition als weltliche Verbrecherbande Gesetze gegen jedes Menschenrecht mit dem Segen des Staatsoberhaupts erlassen darf, der hat einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank.

„Wie kann Gott, der doch später das Menschengeschlecht durch den Tod seines einzigen Sohnes erlöst, oder der vielmehr, selbst zum Menschen geworden, für die Menschen stirbt, wie kann er, sag‘ ich, eben jenes Menschengeschlecht, für das er gestorben, fast ohne Ausnahme dem Schrecken ewiger Qualen preisgeben?

Es macht Gott entweder zur Bosheit selbst, und zwar zur unendlichen Bosheit, die denkende Wesen geschaffen, um sie ewig unglücklich zu machen, oder zur Ohnmacht und Blödsinnigkeit selbst, die das Unglück ihrer Geschöpfe weder vorher zu sehen, noch zu verhüten vermocht.“ (Voltaire: Ueber das Gute und das Böse in der physischen und in der moralischen Welt.)

Ja, man könnte auch sagen, der Mann am Kreuze hat sichs bequem gemacht. Das ließ jedenfalls Georg Büchner seinen Danton aussprechen, damit er dann fragen konnte, „Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?“ Wulff und von der Leyens christlicher Gott hat darauf nämlich keine Antwort. Das muss er auch nicht, weil er nur als Blendwerk dient, um die frevelhaften Taten einer Regierung, die im Sinne des Volkes zu handeln vorgibt, zu verdecken.

In diesen Tagen sollte man nicht auf die Grüße der Engel warten, sondern ergründen, ob es eigentlich noch einen Unterschied gibt, zwischen dem einstigen klaren System der direkten Beherrschung und der Demokratie, deren gewählte Vertreter die einst gegen Kirche und Adel erkämpften Menschen- und Grundrechte wieder mit Füßen treten, weil sie glauben, dass Banken systemrelevanter sind als der in der Verfassung stehende Souverän.

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Von wegen Politikwechsel in Hamburg

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Das Verhalten der Grünen, aus der Koalition mit der Union vor dem 17.12.2010 auszusteigen und damit die Bundesratsminderheit der schwarz-gelben Bundesregierung vor der Hartz-IV-Abstimmung ins Wackeln zu bringen, ist bereits diskutiert worden. Aber kaum einer wunderte sich darüber, dass die Wahlperiode in Hamburg erneut abgebrochen werde, obwohl es doch eine konstruktive Mehrheit im Senat gäbe, die das jetzige CDU-Minderheitskabinett einfach ablösen könnte. Es wäre nach 1982, 1987, 1993 und 2004 bereits das fünfte Mal, dass die Legislaturperiode in der Hansestadt vorzeitig enden würde.

In den Umfragen sieht es für Rot-Grün derzeit nicht schlecht aus. Diese Prognose will man in ein sicheres Ergebnis verwandeln. Dahinter muss dann die reale Politik oder gar ein Politikwechsel zurücktreten. Wie das konkret aussieht, demonstriert die Linksfraktion in der Bürgerschaft einmal mehr. Sie reichte einen Antrag auf Abschaffung der Studiengebühren ein. Natürlich haben die erklärten Gegner von Studiengebühren, SPD und Grüne, diesen Vorstoß abgelehnt, mit der Begründung, er sei populistisch.

Da fragt man sich immer, ob es den Studenten und potenziellen Wähler überhaupt interessiert, dass die einzelwirtschaftlich wie volkswirtschaftlich unsinnigen Studiengebühren nun populistisch oder nicht-populistisch abgeschafft werden. Wo liegt denn da der Unterschied?

Der Unterschied liegt einfach darin, dass man auch in der Hansestadt nicht mit den linken Schmuddelkindern spielen darf und schon gar nicht dann, wenn der Spitzenkandidat der SPD Scholz heißt, vielen noch bekannt als „Agenda Scholz“. Der hatte als Generalsekretär der SPD im Jahr 2003 den Leitantrag zur Agenda 2010 verfasst, der dann mit 90 Prozent auf einem außerordentlichen Parteitag am 1. Juni 2003 in Berlin unter der Überschrift „Agenda 2010 – Mut zur Veränderung“ verabschiedet und von den Grünen in der Koalition dann eifrig mit umgesetzt wurde.

Wenn sich daran schon keiner mehr erinnert, sollte wenigstens das aktuelle Theater in der Bürgerschaft jedem zeigen, wie ernst es SPD und Grüne eigentlich meinen.

Inhaltlich kritisierten die jetzigen Oppositionsparteien die Abkehr der CDU von Ökoprojekten wie der neuen Stadtbahn und die Hinwendung zu den Gegnern der gescheiterten Schulreform. Ahlhaus rechtfertigte dies mit dem Hinweis, daß »man die Kröten nicht mehr schluckt, wenn die Geschäftsgrundlage fürs Krötenschlucken entfallen ist«.

Nur zur Erinnerung, Ahlhaus hat keine Mehrheit. Es wäre ein leichtes für die angebliche Opposition, ihm die Kröte Rausschmiss zu präsentieren. Und bevor die scheinheiligen Medienleute wieder das Lied vom Linksruck anstimmen und die Behauptung auftaucht, die SPD würde sofort mit den Linken, sollte klar sein, dass bereits die Gelegenheit dazu bestünde, sie aber wieder nicht genutzt werde.

Seltsamerweise interessieren die realen Mehrheitsverhältnisse auch kaum einen Journalisten. Alles schielt auf die Neuwahlen und was dann passieren könnte. Wer dabei an einen Politikwechsel glaubt, sollte schnellstmöglich aufwachen…

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