Noch mehr Peitsche für Arbeitslose

Geschrieben von: am 01. Nov 2014 um 13:44

Die Idee, eine Prämie an besonders bemühte Langzeitarbeitslose zu zahlen, ist nur der Entwurf für ein weiteres schäbiges Kapitel im Buch der gescheiterten Arbeitsmarktpolitik.

Weil das mit der Agenda 2010 und den sogenannten Strukturreformen so gut geklappt hat, will die Unionsfraktion im Bundestag künftig Prämien an Langzeitarbeitslose verteilen, die sich „besonders eifrig um eine erfolgreiche Rückkehr in den unsubventionierten Arbeitsmarkt bemühen“, schreibt die FAZ, der ein Positionspapier der Fraktion vorliegt. Damit sollen positive Anreize jene Sanktionen ergänzen, an denen natürlich nicht gerüttelt werden darf. Was auf den ersten Blick wie eine humane Kehrtwende aussehen mag, ist in Wirklichkeit das Eingeständnis eines Scheiterns.

Denn die angeblich so erfolgreichen Hartz IV-Reformen wirken nicht. Bis heute glaubt die Politik, das die Androhung von Leistungskürzung den Arbeitslosen diszipliniere und auf den Pfad zurück in den ersten Arbeitsmarkt führe. An der Zahl der Langzeitarbeitslosen hat dieses menschenverachtende Regime allerdings nichts geändert. Das Prinzip wirkt ausschließlich bei den Noch-Beschäftigten, die Arbeitslosigkeit fürchten und daher jene Bedingungen akzeptieren, die ihnen der Arbeitgeber diktiert.

Zweck der sogenannten Arbeitsmarktreform war auch nicht die Arbeitslosigkeit zu senken, sondern die Position der Unternehmen zu stärken, den Anstieg der Lohnstückkosten zu drosseln und damit einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Dass die Zahl der Arbeitslosen dennoch sank, war nicht die Folge eines Jobwunders, wie gern behauptet wird, sondern das Ergebnis von Änderungen bei der statistischen Erfassung von Erwerbslosigkeit.

Die Brücke ist längst eingestürzt

Es ist hinlänglich bekannt, dass die Statistik geschönt, die Zahl der Langzeitarbeitslosen aber unverändert und die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt längst eingestürzt ist. Was können Prämien an diesem grundsätzlichen Problem ändern? Nichts, der Vorschlag lenkt aber von den Ursachen des Dilemmas ab. Erfolgreiche Arbeitsvermittlung findet heutzutage nur noch bei Ex-Ministern statt, die ohne Kompetenz auf Spitzenpositionen in der deutschen Wirtschaft wechseln, um mit dem Geschäfte zu machen, was sie als Regierende oder Abgeordnete in die Wege leiteten.

Für Langzeitarbeitslose steht dieser Weg natürlich nicht offen, trotz angeblichen Jobwunders und eines Fachkräftemangels, der immer wieder beklagt wird. Langzeitarbeitslose, die sich nach den Vorstellungen der neoliberalen Minderleister vorbildlich verhalten, bekommen dann im Prinzip eine Art Aufwandsentschädigung für eine Leistung, die ihnen die zuständigen Behörden schon längst nicht mehr bieten können. Eine mehr oder weniger sinnlose Eigeninitiative ersetzt fehlende Vermittlungsangebote und eine Förderung, die dem Sparhammer ganz bewusst zum Opfer fiel.

Die erfolgreiche Rückkehr in den Arbeitsmarkt bleibt weiterhin verbaut, da sich an der Politik der Profitmaximierung nichts ändern wird. Diese erfordert eine geschwächte Arbeitnehmerschaft, die sich mit der Aussicht auf ein Leben in prekärer Beschäftigung wie Leiharbeit gefälligst zufrieden geben soll. Das Modell fördert allerdings Perspektivlosigkeit und Wut. Die Neoliberalen fürchten das und versuchen sich mit der Prämien-Idee einerseits freizukaufen und andererseits den Klassenkampf im Armenhaus in eine genehme Bahn zu lenken.


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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Arnold  November 2, 2014

    Es scheint als haben wir seit dem 19. Jahrhundert kaum Fortschritte gemacht. So schreibt Karl Marx in „Das Kapital“ (Kapitel 13) bereits jede Entwicklung der Produktivkraft soll „den Teil des Arbeitstages den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den anderen Teil seines Arbeitstages, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, zu verlängern“.
    Und so stehen unsere neoliberalen Politiker in bester Tradition zum kapitalistischen Geist des 19. Jahrhunderts. Sie entwickeln unsere Produktivkraft.
    Das Ziel haben wir erst erreicht, wenn wir 12 Stunden mit Freude arbeiten um unser Existenzminimum zu sichern.

  2. jenny  November 15, 2014

    interessanter finde ich, warum DE so viele Langzeitarbeitslose hat. Auch unter jungen Leuten sind viele langzeitarbeitslos.

    http://de.theglobaleconomy.com/Germany/Long_term_unemployment/

    http://de.theglobaleconomy.com/Sweden/Long_term_unemployment/

    Vielmehr als z.B. Schweden, das andere Land mit vielen Einwanderern.

    Meiner Auffassung nach liegt das auch daran, dass Schweden lebenslanges Lernen kennt und Arbeitslose mehr fördert als DE.

    in DE werden Hartzer bestraft, wenn sie was lernen sollen, das konnte man letztens bei Panorama gut sehen:Leistungsentzug wg. schulischer Berufsausbildung oder an dem gleich folgenden Bsp.

    in Schweden hingegen ist es ausdrücklich erwünscht, dass Arbeitslose sich weiterbilden sollen oder höherqualifizieren sollen. Bafög gibt es dort bis Ende 55. LJ. ausgezahlt zzgl. Wohngeld für alle Bildungsmaßnahmen. Daher kann man auch im Alter noch viele Lehrgänge besuchen, selbst wenn man noch eine Stelle hat quasi nebenbei umschulen und was Neues lernen.

    in DE sagte mir das Bildungsministerium in einem Brief persönlich, hat man nur Anrecht auf eine Erstausbildung und alle Bildungsmaßnahmen sollen mit 30 eigentlich abgeschlossen sein. Das wurde mir schriftlich mitgeteilt.

    und das Problem trifft eben auch die Arbeitslosen. In Kiel erhalten manche ihre Erst!ausbildung erst mit 35, also kurz vor Rente, weil DE nur diese duale Ausbildung hat, aber viel zu wenig schulische Alternativen für die, die nichts finden. Alles soll hier ja durch die Betriebe geschleust werden, selbst wenn die eh keine Ausbildungsstelle finden.

    ich halte das System in DE für schlecht, es züchtet geradezu Langzeitarbeitslose. Auch weil die Kammern hier das Bildungssystem dominieren. Sogar Berufssschullehrerverbände hatten schon mal kritisiert, dass nur Kammern und kommerzielle Bildungsanbieter Umschulungen anbieten, Berufsschulen aber z.B. nicht Abendkurse oder Umschulungen anbieten dürfen, z.B. Schweißkurse und ähnliches.

    in DE wird die berufliche Bildung allein der Wirtshcaft überlassen, überall sonst gehört das zum staatlichen Bildungssystem. Und auch jemand, der aktuell berufstätig ist, sollte sich weiterbilden können oder selbst eigenständig umschulen.

    euer System züchtet Langzeitarbeitslose.

    http://www.wz-newsline.de/lokales/krefeld/gute-ausbildung-8211-aber-nicht-fuer-jeden-1.177637

    http://hoelderlin1.wordpress.com/2014/06/12/ndr-panorama-am-12-06-2014-arbeitslosengeld-absurd-hangematte-statt-ausbildung/

  3. jenny  November 15, 2014

    Bei euch sagt die Propaganda auch immmer, dass duale Ausbildungswesen sei gut! Ich sage, es ist scheiße.

    ich hab Dutzende! Langzeitarbeitslose im besten Arbeitsalter kennengelernt (Ende 20 bis Mitte 30): bei euch kriegt man dann nur 2jährige Umschulungen über die ARGE — in Schweden können die sich viel eigenständiger!!!! bis 55. LJ selbst umschulen.

    ihr züchtet Langzeitarbeitslose, ihr verweigert selbst jungen leuten im besten Alter Umschulungen oder Qualifizierungen und stockt die lieber ewig auf.

    und dann euer Scheiß-Kammer-System – die blockieren nicht konsekutive Lernangebote für jene, die mit Erstausbildung nichts mehr finden!!!!

    Das ist doch hohl! Die leute müssen immer an neue Lernangebote herankommen, in DE ist der ganze Arbeitsmarkt durch die Kammern versperrt und man ist nur passgenau ausgebildet, kann aber nur schlecht umschulen, nämlich nur über die ARGE.

    hier ein bsp:

    nehmen wir an ich bin wie meine Cousine langzeitarbeitslose Bürokauffrau, ein überlaufener beruf mit schlechten Aussichten in vielen Gegenden. Nun finde ich z.B. keinen Ausbildungsbetrieb für eine Zweitausbildung, da man alleinerziehende Mutter ist oder ähnliches. Das Bsp. ist echt!

    die ARGE verweigert die Umschulung, da man sich ja aktuell mit einem Putzjob finanziert und bei den Eltern lebt. Also Nicht-Hartzer derzeit. Dann kommt man aber an keine Umschulung heran!

    aber etwas zum THema Steuern (Fachkräftemangelbranche!) lernen geht in DE wg. dem Kammersystem nicht:

    siehe hier:
    http://www.sbk-sachsen.de/bildung/steuerfachwirt/index.html

    Um die Weiterbildung zum Steuerfachwirt absolvieren zu können, muss man die Ausbildung zum Steuerfachangestellten abgeschlossen und diesen Beruf bereits drei Jahre lang ausgeübt haben. Alternativ dazu ist auch ein Abschluss in einem als gleichwertig einzuordnenden Beruf möglich, beispielsweise kaufmännische Berufe. Dazu ist es aber notwendig, anschließend fünf Jahre Berufserfahrung im Steuer- und Rechnungswesen nachzuweisen. Drei dieser fünf Berufsjahre sollten bei einem Steuerberater ausgeübt worden sein.

    Es gibt zudem auch für Quereinsteiger ohne entsprechende Berufsausbildung die Möglichkeit, zur Weiterbildung zum Steuerfachwirt zugelassen zu werden. Dafür sind acht Jahre einschlägige Berufserfahrung, davon fünf Jahre bei einem Steuerberater, nachzuweisen.

    Einen so extrem verschlossenen Arbeitsmarkt findet man nur in DE — das garantiere ich euch. In anderen Berufen läuft es genauso! Hinzu kommt der Passgenauigkeitswahn in DE, man kann hier kaum mal eine Tätigkeit wechseln, alle AG erwarten immer nur passgenau Ausgebildete.

    mich wundert nicht, dass ihr viele Langzeitarbeitslose habt, selbst Junge. Immerhin 40% von denen haben eine Ausbildung.

    übrigens ist auch komisch: in skandinavischen ländern nimmt man auch Ältere. Warum DAS so ist, weiß ich aber auch nicht. Mittlerweile lohnt es sich selbst für Mitte 40 bis Mitte 50jährige noch in Dänemark oder Norwegen eine Stelle zu finden, weil die bei denen eingestellt werden, das seh ich im bekanntenkreis oft.

  4. jenny  November 15, 2014

    Nein, die Hartz-Reformen wirken nicht! eigentlich ist das v.a. die demographische Entlastung. Viele Arbeitslose gehen langsam in Ruhestand und die Stellensituation in der Massenarbeitslosigkeit wird etwas erträglicher. Hat mit Hartz nichts zu tun.

    trotzdem hat DE viel zu viele Langzeitarbeitslose und ich denke, der Arbeitsmarkt ist hier durch das Berufsbildungssystem und Kammersystem viel verschlossener als anderswo.

  5. jenny  November 15, 2014

    Welches Rezept ich habe, hab ich damit glaube ich, auch verdeutlichen können: Schwedische Weiterbildungskultur, statt diesen Wahnsinn in DE.

    Also offene Bildungssysteme. Kann nicht sein, dass junge Menschen erzählen, sie sind mit Anfang 30 nun schon seit 5 Jahren Aufstocker und Gelegenheitsjobber, bekommen aber keine Umschulung zum Erzieher, weil diese ja zu lange dauert. Beschissen beraten wurde der auch noch, nicht mal den soz.päd. Assistenten hat man dem angeboten.

    dann muss man sich nicht wundern, wenn man selbst junge Leute langzeitarbeitslos ohne umschulung herumvegetieren lässt, bei zeitgleichem Erziehermangel, dann solltet ihr euer System mal in Frage stellen.

    ihr habt eine Bildungskultur für verschlossene Arbeitsmärkte – nicht mal nicht konsekutive Angebote kann man nutzen, weil die Kammern den Zugang versperren, selbst wenn es sinnvoll wäre.

    Bei euch ist alles durchs Ausbildungssystem voll abgeschottet. Echt abartig, wenn dann selbst junge leute im BESTEN Alter! ewig Aufstocker sind z.B. oder nicht an eine Zweitausbildung herankommen.