Ganz sicher links, aber vermutlich rechts

Geschrieben von: am 25. Aug 2015 um 21:14

Als Linker wird ganz sicher bezeichnet, wer ein politisches Programm für richtig hält, dass vor 17 Jahren mal sozialdemokratisch war und mit dem Label „Neue Mitte“ verknüpft wurde. Heute gelten Menschen, die beispielsweise Bündnisse wie die NATO kritisieren, die dahinterstehende militärische Logik ablehnen, eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung fordern oder das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes für bare Münze nehmen, gelegentlich sogar als linke Spinner aus dem Wolkenkuckucksheim.

Wer aber vor Flüchtlingsheimen aufmarschiert und ausländerfeindliche Parolen grölt oder diejenigen beklatscht, die das stellvertretend tun, gilt laut Deutscher Presseagentur (dpa) als nur „vermutlich rechts“ (Link). Das ist schon bemerkenswert. Wie es zu dem „vermutlich“ bei Heidenau in der Überschrift kam, erklärt der Nachrichtenchef der dpa, Froben Homburger, heute hier.

Nach einer friedlichen Demonstration von rund 250 Menschen, die vor dem Heim ihre Unterstützung für die Flüchtlinge bekundeten, kam es auf dem Rückweg zum Bahnhof zu gewaltsamen Ausschreitungen. Eine Gruppe aus dem Antifa-Block griff mehrere Menschen an, die nahe einer Tankstelle standen. Die Reporter konnten diese Personen nicht sicher als Rechtsextremisten identifizieren und formulierten daher entsprechend vorsichtig: „Angehörige der linken Antifa-Szene hatten eine Gruppe von Menschen angegriffen, die sie offensichtlich dem rechten Spektrum zuordneten.“ Die Überschrift zu der Meldung lautete: „Randale zwischen Linken und vermutlich Rechten in Heidenau“.
[…]

Wir hatten vor Ort keine zusätzlichen Hinweise erhalten, keine Parolen gehört, keine Armbewegungen gesehen, keine verdächtige Kleidung. Möglicherweise haben wir etwas übersehen, das ist nicht auszuschließen. Aber letztlich waren wir in diesem Moment auf Mutmaßungen angewiesen – und mussten daher deutlich machen: Die Antifa hat Menschen angegriffen, die sie offensichtlich für Rechtsextremisten hielt. Ob sie das aber tatsächlich waren, können wir nicht sicher sagen.

Die Rechtfertigung von Homburger rückt den Sachverhalt keineswegs zurecht. So bleibt beispielsweise die Frage offen, warum eine Gruppe aus dem Tross friedlicher Demonstranten auf ihrem Rückweg zum Bahnhof gewalttätig geworden ist. Warum griff sie eine andere Gruppe an? Weil sie diese „offensichtlich“ dem rechten Spektrum zugeordnet hatte, sagt der Bericht.

Das heißt, der Reporter vermutet gleich doppelt und hat augenscheinlich nichts unternommen, das auch zu überprüfen. Sicher war er oder sie sich nur, dass es Linke oder Linksextremisten waren, die zum Bahnhof gingen und offenbar aus heiterem Himmel eine Schlägerei anzettelten.

Erkennbarkeit

Denn Linke sind – sie kündigten ihren Protest ja an – leichter erkennbar, Rechte dagegen schwer. Der Rechtsextremist ziehe sich inzwischen feiner an und lege Wert auf Designer-Kleidung, hat schon der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich vor vier Jahren herausgefunden. Er sagte damals aber auch, den Neonazis gehe es nicht mehr um fremdenfeindliche Angriffe, sondern um die Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen Gegner von links. Und im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Innenministeriums steht dazu:

Rechtsextremistische Gewalt richtet sich jedoch nicht nur gegen Fremde. Im erweiterten Fokus stehen alle politischen und ideologischen Gegner. Hierzu werden all diejenigen gezählt, die einem nationalistischen und völkischen Denken entgegenstehen. Gerade auch die verbalen Ausfälle und in Einzelfällen auch tätlichen Angriffe auf Journalisten belegen die Reichweite.

Und zur Linksextremistischen Militanz steht dort:

Linksextremistische Militanz gegen Rechtsextremisten zeigt sich in Blockaden von Demonstrationen, in gefährlichen Eingriffen in den Straßen- und Bahnverkehr, aber auch im „Outing“ (Veröffentlichung von Namen und Daten von Rechtsextremisten) und in direkten körperlichen Angriffen. Rechtsextremisten suchen ihrerseits den unmittelbaren Konflikt mit Linksextremisten. Hierdurch entsteht eine Dynamik, in der sich die extremistischen Antipoden gegenseitig zu immer neuen Gewalttaten anstacheln.

Was ist also wahrscheinlicher? Sicher identifizierte Linksextremisten, die „vermutliche Rechte“ angreifen oder doch eher Extremisten aus beiden Lagern, die, weil sie nun einmal gewaltbereit sind, verbal und körperlich aufeinander losgehen? Führte also eine sichere Beobachtung, die sich auf Vermutungen stützt, zur Schlagzeile oder doch eher das Vorurteil? Oder war es vielleicht doch ganz anders?

Zusammenhänge

Denn wenig überzeugend ist auch, dass Homburger den dpa Bericht als kleine Meldung bezeichnet, die nun exemplarisch als großes Versagen aufgebauscht werde. Daneben hätte es ja auch viele weitere Berichte gegeben, in denen von „rechtsradikalen Demonstranten“, „rechtsextremen Demonstranten“, „Rassisten und Rechtsradikalen“, usw. die Rede war.

Das mag schon sein, nur erweckt der Nachrichtenchef der dpa damit den Eindruck, als stünde der kleinere Bericht in einem völlig anderen Zusammenhang und sei mehr oder weniger zu vernachlässigen. Er gehört aber zu einem Wochenende voller Ausschreitungen dazu. Und da ist ein wenig mehr passiert, als die kurze dpa Meldung es vermittelt.

Die Polizei hatte beispielsweise massiv aufgerüstet, nachdem sie sich von „vermutlich Rechten“ (aka „besorgte Bürger“ oder „Asylkritiker“) durch die Straßen hat jagen lassen müssen. Über 30 verletzte Beamte wurden am Samstag gezählt. Ein Video von den Tätern selbst belegt die Gewalt. Als die Antifa am Sonntag demonstrierte, war die Polizeipräsenz sehr viel stärker als an den Tagen zuvor.

In Berichten von Teilnehmern der Demo ist nun von gezielten Provokationen und überhartem Einschreiten der Polizei die Rede. Das muss alles nicht stimmen, doch ist kaum vorstellbar, das unter dem Eindruck der Gewalt und Überforderung, die am gesamten Wochenende herrschte, unbeteiligte Menschen an einer Tankstelle herumstehen und scheinbar zufällig Opfer einer Attacke von links werden.

Aber auch das ist selbstverständlich nur eine Vermutung.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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