Brüderle unter Strom

Geschrieben von: am 10. Jun 2011 um 21:30

Als der Protokollfehler Brüderle der Atomwirtschaft versicherte, dass Angelas Moratorium nur ein Wahlkampfgag war und im Prinzip alles so bleiben würde wie bisher, wenn sich erst einmal die Aufregung um Fukushima gelegt hätte, konnte noch keiner ahnen, dass sich die schwarz-gelben Energiewendewenderevoluzzer tatsächlich zu einem Ausstieg aus der Atomkraft entschließen würden.

Nachdem die Union Wahlen verloren hat und ihr klassischer Mehrheitsbeschaffer, die FDP, von der politischen Bedeutungslosigkeit auf der Schnellstraße ins außerparlamentarische Nirwana endlich eingeholt und überholt wurde, besann sich Frau Merkel notgedrungen auf eine neue Strategie. Die Atomenergie soll zu Gunsten der erneuerbaren Energien weichen, dafür stehe sie mit ihrem Namen. Frau Hipp, Verzeihung, Frau Bundeskanzlerin garantiere, dass es zu keinen Blackouts kommen werde. Eine kühne Versicherung. Will sie etwa mit ihrer persönlichen Strahlkraft aushelfen, falls es einmal eng werden sollte?

Offensichtlich scheinen die schwarz-gelben Irrlichter schon wieder angesprungen zu sein. Denn auch in den eigenen Wendehalsreihen gibt es bereits wieder Stimmen, die das soeben beschlossene Ausstiegsgesetz torpedieren. Rainer Brüderle war nie sonderlich überzeugt vom Ausstiegsgedanken. Er hat vor allem den gnadenlos günstigen Strompreis im Blick, der durch die vier Besatzungsmächte, Verzeihung, Stromkonzerne den Kunden derzeit angeboten wird.

Sollten die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, so Brüderle, werde das sehr teuer.

„Der Ausstieg aus der Atomenergie ist nicht zum Nulltarif zu haben“, sagte Brüderle. „Das müssen wir den Leuten ehrlich sagen.“ Strom aus erneuerbaren Energien sei wesentlich teurer als Atomstrom. Zudem würden der Netzausbau und der Neubau von Gaskraftwerken zusätzlich Geld kosten. „Bezahlen müssen wir alle, die Stromkunden, die Steuerzahler“, sagte der FDP-Politiker.

Quelle: Spiegel Online

Ja, das muss man den Leuten ehrlich sagen, sonst glauben die noch, dass sie für Castortransporte, die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll bzw. für die Sanierung maroder Lagerstätten deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen, als für Investitionen in Infrastrukturen, die langfristig Versorgungssicherheit garantieren und damit eine gesellschaftliche Rendite abwerfen. Vielleicht sollte man Herrn Brüderle einfach einen Jutesack mit verbrauchten Brennstäben an die Türklinke seines zu Hauses hängen mit der freundlichen Aufforderung, bei seinem täglichen Gang zum Altglascontainer, auch den angefallen Atomstrommüll mit zu entsorgen.

Der Ausstieg sei nicht zum Nulltarif zu haben, so Brüderle. Schon klar, seit 2002 haben allein die drei Versorger Eon, RWE und EnBW über 100 Mrd. Euro Gewinn erzielt. Natürlich sind diese Gelder vor dem Zugriff geschützt. Wieso wurde eigentlich nicht investiert, wie es unternehmerische Tradition wäre? Was ist denn mit den Gewinnen passiert? Wurden sie verwendet, um die marktbeherrschende Position innerhalb Europas weiter auszubauen, damit die Abhängigkeit von diesen Konzernen selbst dann noch gewährleistet sein würde, wenn sich die ohnmächtige Politik zu einer Energiewende entschließen sollte?

Der Strompreis, der beim Kunden erhoben wird, ist doch längst nicht mehr von der Art der Energiegewinnung und des Transports abhängig. Der Preis wird von den Energieversorgern diktiert, die den Markt mit Hilfe der Politik unter sich aufgeteilt haben. Selbst wenn die erneuerbaren Energien in Zukunft die Atomkraft ablösen, stehen dahinter bereits die großen Vier, die ihre marktbeherrschende Position auf dieses Gebiet natürlich längst ausgedehnt haben (Offshore Windparks).

Deshalb bleibt die Forderung an die Protestbewegung, nicht nur für den raschen Atomausstieg einzutreten und sich damit zufrieden zu geben, dass es gelungen ist, die Politik ein Stück weit in die Knie zu zwingen, sondern es sich zur Aufgabe zu machen, gegen die Abhängigkeit vom privaten Energiekartell zu kämpfen, das durch seine finanziellen Mittel auch über die Macht verfügt, die politischen Entscheidungen unter allen vorherrschenden Bedingungen maßgeblich zu beeinflussen.

Und damit schöne Pfingsten.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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