Schmierentheater: Die Reise eines Zählkandidaten

Geschrieben von: am 07. Feb 2018 um 21:54

Ämter statt Inhalte, lautet die Schlagzeile des Tages. Man könnte auch in die Tastatur tippen, Union und SPD machen den Weg für weitere AfD-Erfolge frei. Denn das ist bereits jetzt schon absehbar, wenn man sich die jüngsten Umfragen zu Gemüte führt. Doch um Demoskopie soll es in diesem Beitrag nicht gehen, als vielmehr um die Schlagzeile, die sehr treffend gewählt worden ist, von den Koalitionären aber, die in Wahrheit ja immer noch Wahlverlierer sind, auch bewusst in Umlauf gebracht wurde. Ein Schmierentheater in drei Akten.

I. Akt – Der Rückblick

Wir erinnern uns an den 24. September zurück: Die Parteien der Großen Koalition müssen herbe Verluste hinnehmen. Konsequenzen hat das aber keine. Die Kanzlerin lässt Kritik an ihrer Amtsführung und an ihrem Wahlkampf mit der Bemerkung abprallen, sie wisse nicht, was sie hätte anders machen sollen. Horst Seehofer tat das, was er immer tut, als er sagte: „Wir haben verstanden“. Und Martin Schulz landete mit dem Manöver, die GroKo als Grund allen Übels zu brandmarken und sofort den Gang in die Opposition anzutreten, einen wohlkalkulierten Überraschungserfolg bei den eigenen Mitgliedern, einschließlich der Jusos, die ihrem auf ganzer Linie gescheiterten Parteichef wieder wie berauscht zujubelten.

Es folgte das Winke-Winke-Schauspiel der Jamaikaner, die nie die Absicht verfolgten, tatsächlich eine Regierung zu bilden. Unklar war lange Zeit nur, wem man als Sündenbock das Scheitern der Verhandlungen anlasten könnte. Viele hatten auf die Grünen gesetzt, weil man die immer noch mit linken Positionen in Verbindung brachte, von denen man annahm, dass sie sie keinesfalls räumen würden. Doch falsch gedacht. Aus den Grünen ist inzwischen eine pechschwarz angemalte neoliberale Partei geworden, die ihre Positionen und Überzeugungen von einst, nicht einfach über Bord geworfen, sondern in einem Topf mit atmenden Deckel zerkocht hat.

Richtig ist, dass die Jamaika-Sondierungen ungeplant zustande kamen, da sich die GroKo-Spitzen lange vor der Wahl und hinter den Kulissen bereits auf eine Fortsetzung der Regierung verständigt hatten, sofern die SPD irgendwo bei 22 plus X Prozent gelandet wäre. Das betätigte Thomas Oppermann in einem Interview nach der Wahl. Mit einem noch schwächeren Abschneiden hatten die Genossen tatsächlich nicht gerechnet, was den raschen Entschluss unmittelbar nach der ersten Hochrechnung erklärt. Da die Parteien bereits am Nachmittag durch die Demoskopen darüber informiert werden, wie die Prognose um 18 Uhr aussehen wird, blieb nicht viel, aber doch etwas Zeit, sich eine Strategie zu überlegen, um die Reise des Zählkandidaten nicht vorzeitig enden zu lassen.

Von dem Manöver der Sozialdemokraten waren wiederum die anderen Parteien überrascht, die sich ganz fest auf eine Fortsetzung der Großen Koalition eingestellt hatten. FDP und Grüne schwurbelten und jammerten bei Anne Will am Wahlabend herum und empfanden es als geradezu unerhört, dass sich die Sozialdemokraten einfach so vom Acker machten und damit den anderen den Auftrag zur Bildung einer Regierung mit Merkel überließen. Auch die Kanzlerin zeigte sich in der Elefantenrunde irritiert über das Verhalten von Martin Schulz, der keinerlei Anstalten machte, doch noch auf eine Hintertür zur Neuauflage der GroKo zu weisen.

Das gefiel den SPD-Mitgliedern wiederum so gut, dass sie ihrer Parteiführung weiter das Vertrauen aussprachen. Die sicherte ihre geschwächte Machtposition mit dem Versuch ab, einen Erneuerungsprozess mit diversen Papieren und Initiativen in Gang zu setzen. Im Kern ging es dabei aber nur um eine Art Beschäftigungstherapie für die Basis, deren Zweck genau darin bestand, eine kritische Aufarbeitung der Wahlniederlage zu verhindern. Für Aufmerksamkeit sorgte kurze Zeit die Blendgranate von Olaf Scholz, den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen zu wollen. Man könnte auch sagen, der groß angekündigte Erneuerungsprozess sollte irgendwann wieder im Sande verlaufen.

II. Akt – Die Kehrtwende

Da die Ankündigung der SPD, in die Opposition zu gehen, für alle anderen überraschend kam, traf umgekehrt das Scheitern von Jamaika die SPD ebenso unvorbereitet. Plötzlich war die Wahlniederlage wieder präsent und Fragen tauchten auf. Schulz musste seine Versprechen erneuern, für eine GroKo und ein Ministeramt unter Merkel nicht zur Verfügung zu stehen. Klar musste ihm aber schon zu diesem Zeitpunkt sein, dass sich diese Position nicht lange würde durchhalten lassen und er am Ende die Konsequenzen zu tragen hätte. Also beschloss der erfahrene Politiker Schulz in die Offensive zu gehen. Er deutete die Ermahnung des Bundespräsidenten in eine Art Handlungsbefehl um.

Dabei arrangierte er sich mit den Seeheimern, zu denen er ja auch selbst gehört. Mit Andrea Nahles im Rücken hatte Martin Schulz zudem eine Art Lebensversicherung abgeschlossen. Klar wurde das schon in dem Moment, als er sagte, dass auch er darüber nachgedacht hatte, den Vorsitz der Bundestagsfraktion zu übernehmen. Heute zeigt sich, dass die Besetzung mit Nahles aus seiner Sicht ein kluger Schachzug gewesen ist. Nahles soll Parteichefin werden. Vorbereitet wurde das bereits auf dem letzten Parteitag mit einer als kämpferisch bezeichneten Rede, die viel Applaus von den Delegierten bekam, im Kern aber nicht mehr als ein sinnloses Geplärre war.

Dennoch stiegen die Medien darauf ein und schrieben die Fraktionsvorsitzende wegen ihrer Lautstärke zur künftigen Chefin hoch. So ist es nun auch gekommen. Und noch mehr. Die Personalrochaden mit Schulz als Außenminister, Nahles als Fraktions- und Parteichefin sowie mit Scholz als möglichen Finanzminister und Vizekanzler sollen fälschlicherweise ein starkes Team und eine Neuaufstellung suggerieren, mit denen man vor allem die Mitglieder beeindrucken will, weil es sonst keine inhaltlichen Erfolge vorzuweisen gibt.

Seht her, welche Machtfülle wir herausverhandelt haben, lautet die Botschaft. Schulz zieht sich derweil bewusst ins Außenministerium zurück, wie Sigmar Gabriel auf dem Beliebtheitstief sowie Höhepunkt des K-Frage-Dilemmas im letzten Jahr. Der Rückzug soll die Basis besänftigen und gleichzeitig den Aufbruch vermitteln, den sich die SPD-Führung mit dem angeblich „richtungsweisenden“ Europakapitel verspricht. Nicht umsonst steht „Ein neuer Aufbruch für Europa“ ganz oben auf dem Koalitionsvertrag. Aber auch das ist nicht mehr, als ein Rettungsanker für Martin Schulz. Wer sonst sollte denn die Aufgabe übernehmen und ans Telefon gehen, wenn mal wieder der Stalker „Macron“ aus Frankreich anruft.

Nahles als Partei- und Fraktionschefin dürfte der Basis wohl ebenso gefallen, weil sie dort vielleicht immer noch als Linke gilt und wie bereits unter Beweis gestellt, auch mal verbal austeilen kann. Außerdem wäre sie die erste Parteivorsitzende in der Geschichte der SPD und verkörpere einen Generationenwechsel, so Schulz in einer gemeinsamen Pressekonferenz, die man als den vorläufigen Höhepunkt eines Schmierentheaters bezeichnen muss. Schulz selbst stellt sich dabei am Ende dieser elend langen Reise als jemand dar, der sich auch nach der herben Wahlniederlage für die Partei aufgeopfert habe. Damit erscheint das Außenamt plötzlich als eine Art verdiente Entschädigung, auf die der Zählkandidat in der SPD offenbar einen Anspruch hat. Vielleicht stimmen die Mitglieder ja nun aus Mitleid dem Koalitionsvertrag zu.

III. Akt – Das bittere Ende

Das bittere Ende ist wohl schon bekannt und bedarf keiner näheren Ausführungen mehr. Ein Blick nach Frankreich oder in die Niederlande reicht.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Hartmut Schwarz  Februar 8, 2018

    Eine Realsatiere regiert unser Land. Mayday, Maiday…

  2. Eberhard Schneider  Februar 8, 2018

    wenn Wahlen was verändern würden wären sie längst verboten