K(n)ackpunkte

Geschrieben von: am 13. Nov 2017 um 23:14

Quelle: Screenshot heute show, 3. November 2017

Im November herrschen üblicherweise sehr trübe Bedingungen. Die Tage sind denkbar kurz und das Wetter eher unfreundlich. Doch die Aussichten werden nicht besser. Mit Schneckentempo geht es bei den Jamaika-Sondierungen auf die Zielgerade. Es herrscht plötzlich Zeitnot, sind doch gerade erst sieben Wochen seit der Bundestagswahl vergangen. Am Donnerstag kommt nun alles final auf den Tisch, heißt es. Einen großen Wurf erwartet aber niemand mehr.

Die Regierungsbildung nach der letzten Bundestagswahl 2013 war schon anstrengend, sie ging aber doch zügiger vonstatten als heute. Damals genügten der Union zwei Sondierungsrunden mit den Grünen und drei mit der SPD, um nach viereinhalb Wochen am 23. Oktober 2013 offiziell mit den Koalitionsverhandlungen zu beginnen. Die dauerten dann noch einmal fünf Wochen. Das machte unterm Strich also 9½ Wochen, von Erotik aber keine Spur.

Das gilt auch dieses Mal, obwohl alle Beteiligten immer wieder das gegenseitige Abtasten betonen. Doch eine Liebesheirat wird es zwischen den Jamaika-Partnern nach übereinstimmenden Medienberichten aus dem Standesamt neben dem Reichstag nicht mehr geben. Das ist trotz der Ehe für Alle jetzt schon klar. Eine Vernunftehe soll es hingegen werden, in der Hoffnung, dass die Liebe irgendwann noch dazu kommt, so hatte es der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor Journalisten kürzlich ausgedrückt.

Wenn man sich im Prinzip nicht leiden kann, sei die Brautschau eben sehr mühsam und brauche ihre Zeit. Als Zeichen der harten inhaltlichen Arbeit präsentierte Horst Seehofer am Montagabend nach stundenlangen Verhandlungen ein neues Zwischenergebnis: Man habe eckige Klammern abbauen können. Kein Scherz. Die Arbeitsgruppen diskutieren im Grunde nur noch über ausreichend interpretationsfähige und damit gleichzeitig gesichtswahrende Formulierungen, statt das Papier zu zerreißen, auf dem diese samt eckige Klammern geschrieben stehen.

Bis Donnerstag dauert das unwürdige Schauspiel mutmaßlich noch an und alle Beobachter sehnen sich inzwischen ein Ende der keinesfalls romantischen Balkonszene herbei. Sie hoffen auf einen schnöden Deal. Egal welcher. Hauptsache eine Einigung. Und das dürfte auch der Sinn der ganzen Übung sein. Es geht darum, den Zuschauer solange zu nerven, bis der schließlich aufgibt und den größten Unsinn als besseren Kompromiss akzeptiert. Am Donnerstag kommt es daher aufs Stehvermögen an. Und da liegt die Kanzlerin vermutlich wieder ganz weit vorn, weil die es bislang vermied, vor jeder Kamera erschöpfend ihre K(n)ackpunkte zu präsentieren.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Hartmut Schwarz  November 14, 2017

    Bin gespannt, wie uns jetzt die Neoliberalpolitik angedreht wird und
    die inszenierte Politshow dient wohl lediglich der Ablenkung vom Kompromiss Getue.