Verruckt!

Geschrieben von: am 01. Feb 2017 um 18:36

Der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, will sich für höhere Löhne einsetzen. Er sagt: „Wir haben erheblichen Nachholbedarf bei den Einkommen.“ Die Gewinne der Unternehmen seien deutlich stärker gewachsen als die Löhne. „Das sollten die Tarifpartner bei ihren nächsten Verhandlungen berücksichtigen“, fordert Schulz. Das klingt ja super, doch in der Praxis sieht es mal wieder anders aus.

Denn angesichts von Überschüssen könnte der öffentliche Dienst doch jetzt mit gutem Beispiel vorangehen. Ein neuer Tarifvertrag für die Länder muss geschlossen werden. Allerdings sucht man ein Zeichen des Ruckes nach zwei Verhandlungsrunden vergebens. Nicht ein Angebot der Arbeitgeberseite hat es gegeben, sondern nur den üblichen Hinweis, dass die Forderung der Gewerkschaft ver.di viel zu hoch gegriffen sei.

Einer der Verhandlungsführer auf Arbeitgeberseite ist übrigens der niedersächsische Finanzminister Peter-Jürgen Schneider von der SPD, der sich zuletzt noch feiern ließ, weil er und seine rot-grüne Regierung dem Land Niedersachsen nach Jahrzehnten eine schwarze Haushaltsnull bescherte. Was schwarze Nullen nun konkret wert sind, werden die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in dieser Tarifauseinandersetzung vermutlich ganz genau erfahren.

In einem kurzen Statement sagte Schneider bereits, dass er es für problematisch halte, wenn der öffentliche Dienst höhere Forderungen stelle als Industriegewerkschaften. Offensichtlich wünscht sich der Finanzminister wieder eine „moderate“ Stufenlösung auf zwei Jahre gestreckt. Das sieht schließlich irgendwie vernünftig aus, wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Ländereinnahmen (rund 40 Prozent) für Personalkosten verwendet werden müssen.

Das klingt viel, ist es aber nicht, wenn man die Aufwendungen für den öffentlichen Dienst am Bruttoinlandsprodukt misst. Gewerkschaftschef Frank Bsirske weist darauf hin, dass der öffentliche Dienst der Bundesrepublik mit zehn Prozent am BIP zu den billigsten innerhalb der EU gehört. Warum sollten die Beschäftigten nun also unter jenen Folgen leiden, die eine neoliberale Sparpolitik über Jahre hinweg angerichtet hat? Sollen Länder und Bund doch ihre Einnahmen erhöhen.

Das fordert nicht zuletzt auch der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, wenn er nach mehr Gerechtigkeit ruft und deshalb über „Riesenvermögen“ spricht, die es stärker zu belasten gilt. Allerdings zieht er dann auch schon wieder zurück, wenn es konkret um die Aktivierung der immer noch ruhenden Vermögenssteuer geht. Das sei halt bloß ein Kampfbegriff, sagt er. Und so drehen sich kämpferische Worte und gute Absichten wieder nur folgenlos um sich selbst.

Da kann man schon verstehen, wenn sozialdemokratische Finanzminister lieber dem Vorbild Schäuble nacheifern und sich für schwarze Nullen und eingehaltene Schuldenbremsen von allen Seiten bejubeln lassen, statt sich an einer Aufbruchstimmung und Euphorie zu beteiligen, die ein neuer Kanzlerkandidat für den Moment zu entzünden vermag. Immerhin, eine dritte Verhandlungsrunde, in der ein Ruck gelingen könnte, steht noch aus.

Die braucht eine Christine Hohmann-Dennhardt übrigens nicht. Die Krisenmanagerin mit SPD-Parteibuch hatte einen Dreijahresvertrag bei VW unterschrieben. Den erfüllt sie aber nicht, sondern verabschiedet sich nach nur einem Jahr aufgrund von Unstimmigkeiten im Vorstand und nimmt ruck, zuck eine Millionenabfindung mit Segen des SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil gleich mit. Und das obwohl Martin Schulz eben noch unter dem Beifall begeisterter Anhänger, die Zahlung von Millionenboni für Fehlleistungen in Chefetagen lautstark kritisierte. Verruckt!

0

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge